Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
ein Befürworter der Frauenemanzipation?«
»Es könnte kaum anders sein, Madame.«
»Naturellement. Ich hatte gehofft, Ihre Mutter vielleicht davon überzeugen zu können, einen kleinen Artikel für unser Magazin zu verfassen. Haben Sie schon einmal einen Blick hineingeworfen?«
»Noch nicht, aber es wäre mir eine Ehre. Ich werde Ihre Bitte an meine Mutter weiterleiten. Ich bin sicher, daß sie erfreut ist, Ihnen in irgendeiner Form behilflich sein zu können. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen …«
»Un moment, s’il vous plait.« Ihre Hände fingerten an ihrem Nacken. Nach einem Augenblick senkte sie sie und enthüllte eine Goldkette mit einem kleinen geschnitzten Anhänger. »Ein kleines Zeichen der Hochachtung für Ihre geschätzte Mutter«, sagte sie. »Das ist das Zeichen unserer Organisation.«
Ramses verbeugte sich. »Sie sind zu liebenswürdig, Madame. Zweifellos entspricht es einem antiken ägyptischen Original – dem Pavian, einem der Symbole für die Gottheit Thot.«
»Es ist ihm sehr ähnlich, n’est-ce pas? Der Affe, der neben der Waagschale sitzt, in der das Herz liegt. Man könnte es auch als Symbol für die Gerechtigkeit werten.«
»Möglicherweise«, sagte Ramses.
Was für eine unfreundliche Antwort, dachte ich, und irgendwie hatte Ramses die Unterhaltung ohnehin viel zu lange bestimmt. Ich griff nach dem kleinen Anhänger. »Die Gerechtigkeit, die Frauen verdienen und die ihnen eines Tages auch zuteil werden wird! Ich werde ihn ihr geben, Madame. Ich weiß, daß sie ihn in Ehren halten wird.«
»Lassen Sie ihn mich an Ihrem Hals befestigen, dann verlieren Sie ihn nicht.«
Sie bestand darauf, ihn mir eigenhändig anzulegen. Der Anhänger war ein rotbrauner, geschnitzter Stein. Er war erstaunlich schwer.
Sie begleitete uns nicht zur Tür.
Bei Nacht war der kleine Garten ein zauberhafter Aufenthaltsort, der den süßen Duft von Jasmin verströmte, doch es war mir nicht vergönnt, dort zu verweilen; Ramses hatte mich am Arm gepackt und schob mich eher energisch als höflich in die Kutsche. David half Fatima beim Einsteigen, und dann fuhren wir los. »Und was sollte diese Vorstellung?« wollte ich wissen. »Ich wollte mir die Dame einmal genauer anschauen«, erwiderte Ramses kühl.
»Das war mir klar. Und was hältst du von ihr?«
»Ich kam zu dem Schluß«, sagte Ramses, »daß sie nicht zu dem Kreis der Personen zählt, die mir schon einmal begegnet sind.«
Das hatte ich nicht erwartet; ich hatte angenommen, daß Ramses generell den großen Bruder spielte. »Gütiger Himmel!« entfuhr es mir. »Sethos? Ramses, das ist die widersinnigste Hypothese …«
»Beileibe nicht widersinnig. Allerdings erscheint mir meine Theorie unhaltbar. Sethos ist ein Meister der Verstellung, doch nicht einmal er könnte um dreißig Zentimeter schrumpfen oder seine hervorstechende Hakennase kaschieren. Der Schleier der Dame war so durchsichtig, daß ich ihre Gesichtszüge erkennen konnte.«
»Und ich habe dieses Gesicht unverschleiert gesehen«, erinnerte ich ihn. »An ihrem Geschlecht besteht überhaupt kein Zweifel. Ihre Wangen waren zu weich, ihr Aussehen gütig und freundlich.«
»Freundlich«, sagte Fatima, die unser Gespräch aufmerksam verfolgt und zumindest dieses eine Wort verstanden hatte. »Freundliche, gute Lehrerin.«
Auf arabisch sagte Ramses: »Ja. Wir werden eine andere Lehrerin für dich finden, wenn wir in Luxor sind, Fatima. Nicht wahr, Nefret?«
»Damit meinst du vermutlich mich. Verflucht, Ramses, wie in aller Welt kommst du darauf, daß Sethos eine Laufbahn als Lehrer eingeschlagen haben könnte?« Ramses blickte mich einfältig an. Ich gebe zu, daß das schwer zu beschreiben ist, aber ich habe seinen Gesichtsausdruck häufiger beobachtet und mir meine Gedanken gemacht. »Einfältig« bedeutet ein kurzes Zwinkern seiner Augen und leicht zusammengekniffene Lippen. »Vater hat mir diesen Floh ins Ohr gesetzt. Zugegeben, er ist nicht ganz objektiv gegenüber Sethos, doch seine Idee traf auf fruchtbaren Boden. Du hast Sethos noch nie in Aktion erlebt. Der Mann ist ein Genie, Nefret.« »Nun, diesmal hattet ihr unrecht.«
»Du bist doch nicht wütend, weil wir dir gefolgt sind, oder?« fragte David.
Ich war wütend, aber nicht auf ihn. Mir war vollkommen klar, wessen Idee diese »Rettungsaktion« gewesen war. Ich beugte mich vor und strich Ramses einige vorwitzige Locken aus der Stirn. Das verabscheut er. »Ihr habt es gut gemeint«, gestand ich. »Trotzdem empfinde ich es
Weitere Kostenlose Bücher