Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
Tanzen aufgefordert, Emerson. Sie spielen einen Walzer.«
»Gewiß, meine Liebe.« Sein starker Arm riß mich an sich und zerrte mich auf den Tanzboden.
Ich blickte mich nach Nefret um. Erfreut hatte ich feststellen dürfen, daß die Jungen sie an diesem Abend fast ausschließlich mit Beschlag belegten, die meiste Zeit mit ihr tanzten und sie davon abhielten, sich ohne Beaufsichtigung in den Garten hinauszustehlen. Jetzt tanzte sie mit Ramses, der bei ihr mehr Temperament bewies als zuvor bei mir. Ihre weiten Röcke bauschten sich auf, als er sie in einer schwindelerregenden Drehung herumwirbelte, und sie lächelte zu ihm auf.
Gedankenversunken runzelte Emerson die Stirn.
»Du bist ungewöhnlich schweigsam, Peabody. Lag es an den Diamanten? Ich sah, wie du sie angestarrt hast. Du weißt, daß du alles haben kannst, was du dir wünschst. Ich hätte nicht gedacht, daß dir solche Dinge gefallen.«
Seine sensible Wahrnehmung und sein großzügiges Angebot erfüllten mich mit Beschämung. »Oh, Emerson«, murmelte ich. »Du bist so gut zu mir.«
»Nun, ich versuche es eben, verflucht noch mal. Aber wenn du mir nicht sagst, was du willst, wie soll ich es dann wissen?«
»Ich will keine Diamanten, mein Schatz. Du hast mir alles gegeben, was ich mir wünsche, und noch viel mehr.«
»Ah«, sagte Emerson. »Sollen wir aufbrechen, Peabody, zu Hause kann ich dir …«
»Das wäre mir überaus recht, Emerson.«
Sie dürfen sicher sein, werter Leser, daß Emerson dafür sorgte, daß wir unsere beruflichen Aktivitäten nicht vernachlässigten. Ich habe sie lediglich deshalb nicht in Einzelheiten wiedergegeben, weil sie nichts Interessantes ans Tageslicht förderten. Während die übrigen Familienmitglieder in den entlegenen Winkeln des Tals buddelten, arbeiteten Ramses und David am Tempel von Seti I. und übertrugen Inschriften.
Das Klima war ungewöhnlich heiß, was uns die Arbeit nicht unbedingt erleichterte. Aufgrund der sengenden Sonnenstrahlen absorbieren die nackten Felswände im Tal eine Hitze, wie ein Schwamm das Wasser aufsaugt – letzteres eine Annehmlichkeit, die, wie ich hinzufügen muß, dort außerordentlich knapp ist. Das empfanden wir alle, mit Ausnahme von Emerson, dem weder Hitze noch Kälte etwas auszumachen scheinen.
Ich versuchte, mir kleinere Aufgaben für Abdullah auszudenken, die ihn nicht überanstrengten; doch irgendwann durchschaute er meine Absicht und bemühte sich mit beleidigt gereckter Nase mehr denn je. Deshalb behielt ich ihn immer im Auge und war demzufolge die erste, die seinen Zusammenbruch bemerkte.
Als ich auf ihn zugelaufen kam, setzte er sich auf und wollte mir weismachen, daß alles in Ordnung war, doch seine Atemnot hinderte ihn am Sprechen. Nefret war fast gleichzeitig mit mir bei ihm eingetroffen. Aus ihrer Hemdtasche holte sie einen Umschlag und griff hinein.
»Halt seinen Mund auf«, wies sie mich in dem Tonfall an, den man bei Bediensteten anschlägt. Selbstverständlich gehorchte ich sofort. Ihre Finger wanderten hinein und wieder hinaus; sie legte ihre schlanken, braunen Hände trichterförmig über Abdullahs bärtige Wangen und senkte ihr Gesicht so dicht über das seine, daß ihre Nasen sich beinahe berührten.
Wie hypnotisiert starrte Abdullah in ihre strahlendblauen Augen.
Allmählich ging sein Atem wieder ruhiger und gleichmäßiger, woraufhin Nefret ihre Umklammerung lockerte und sich auf ihre Fersen sinken ließ. Abdullah blinzelte. Dann sah er mich an.
Ich nickte ihm beruhigend zu. »Alles in Ordnung, Abdullah. Nefret, lauf und erklär dem Professor, daß wir die Arbeit einstellen.«
Das tat sie, und sobald Emerson erfahren hatte, was passiert war, verließ er die Grabstätte, hielt Abdullah einen Vortrag, woraufhin dieser schmollte, und bat Selim, Cyrus’ Kutsche auszuborgen, woraufhin Abdullah fluchte. »Wir machen für heute Schluß«, sagte Emerson in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Geh nach Hause, und ruh dich aus, du eigensinniger, alter Narr.«
»Warum auch nicht?« erwiderte Abdullah voller Tragik. »Ich bin alt und völlig nutzlos. Welch ein trauriges Ende, wenn man wie ein zahnloses Kind in der Sonne sitzen …«
Daoud ergriff ihn am Arm. Wir beobachteten, wie sie langsam fortschlenderten. Abdullah redete wütend auf Daoud ein.
»Was zum Teufel soll ich bloß mit ihm anstellen?« wollte Emerson wissen. »Eines Tages wird er bei der Arbeit tot zusammenbrechen, und ich trage die Schuld.«
»Vielleicht würde er es so
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