Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
vorher. Wenigstens verbargen ihre dreiviertellangen Handschuhe die wenig damenhafte Kruste auf ihrem Unterarm.
Wie aus der Pistole geschossen strebte Emerson auf Mr. Davis zu. Er war ein kleiner Mann mit einem riesigen Schnurrbart, der sich für groß hielt. (Das war ein weiterer Grund, weshalb er und Emerson nicht miteinander auskamen; es wird problematisch, sich für groß zu befinden, wenn Emerson einen überragt.) Es gelang mir, Emerson von ihm wegzuziehen, bevor er noch irgend etwas anderes äußern konnte als: »Hmhm. Sie sind also zurückgekehrt, was?«
Der Rest der Davis-Truppe hatte ihn begleitet: Mrs. Andrews, zauberhaft in perlenbesetzter schwarzer Seide; mehrere junge Damen, die als ihre Nichten vorgestellt wurden; und ein amerikanisches Paar namens Smith, das bei den Weigalls wohnte. Mr. Smith war Maler, der schon eine Reihe von Ausgrabungssaisons in Ägypten verbracht und für Davis und andere Archäologen gearbeitet hatte – ein munterer, lebensbejahender Mann in den späten Vierzigern.
Sobald Nefret die Reihen durchschritt, strebten alle jungen (und nicht mehr ganz so jungen) Männer auf sie zu und ließen einige Damen allein und verlassen zurück. Ich sah, wie mein Pflegekind die Aufforderung eines Herrn annahm und sich von ihm auf die Tanzfläche führen ließ, und drehte mich zu Emerson um. Allerdings hatte er sich getrollt.
»Hast du Lust zu tanzen, Mutter?« fragte Ramses.
»Hmmm«, sagte ich.
»Ich werde mich bemühen, dir nicht auf die Füße zu treten.« Ich nahm an, daß das wieder einer seiner seltsamen Scherze gewesen war. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war er ein weitaus besserer Tänzer als sein Vater. Niemand tanzt besser Walzer als Emerson; das einzige Problem besteht darin, daß er auf den Walzerschritt beharrt, egal, welche Melodie gespielt wird.
Ich reichte Ramses meine Hand, und als er mich respektvoll zur Tanzfläche führte, erklärte ich: »Mein kurzzeitiges Zögern entsprang nicht der Sorge um meine Füße, sondern der Sorge um deinen Vater. Jemand sollte bei ihm sein. Er wird sicherlich wieder ein Streitgespräch anzetteln; ich kenne die Signale.«
»Wir kümmern uns später um ihn«, erwiderte Ramses. »David macht den Auftakt.«
Als ich meinen Blick durch den Saal schweifen ließ, bemerkte ich Emerson im Gespräch mit Monsieur Naville in der Nähe des Büfetts. David stand bei ihnen. In seiner Abendgarderobe wirkte er sehr anziehend, doch sein Blick war meiner Meinung nach etwas angespannt.
»Mein lieber Junge, David kann deinen Vater vermutlich nicht bremsen, wenn er einmal loslegt«, sagte ich. »Ich gehe besser und …«
»Jetzt bin ich an der Reihe.« Die Musik verklang, und Ramses bot mir seinen Arm, um mich von der Tanzfläche zu führen. Wieder einmal zeigte er sich von seiner besten Seite, und ich überlegte, welche der anwesenden jungen Damen er wohl mit seinen hervorragenden Manieren zu beeindrucken versuchte.
Noch ehe wir die an der Wand aufgereihten Sitzgelegenheiten erreichten, wurden wir aufgehalten. »Darf ich um die Ehre des nächsten Tanzes bitten, Mrs. Emerson?« fragte Sir Edward Washington mit einer galanten Verbeugung.
Ich hatte ihn seit Weihnachten nicht mehr gesehen, Nefret vermutlich schon. Eine Zeitlang schwebten wir schweigend über die Tanzfläche. Dann sagte er: »Mrs. Emerson, ich nehme an, daß Ihr detektivischer Spürsinn aufgrund unseres letzten Rätsels stark gefordert ist.«
»An welches spezielle Rätsel denken Sie da, Sir Edward?« konterte ich.
»Gibt es denn mehr als eins? Ich dachte an den zerfleischten Leichnam, der kürzlich aus dem Nil gefischt wurde. Der Mörder kann kein Krokodil gewesen sein.«
»Nein«, gab ich zu.
»Wie mir zu Ohren gekommen ist, haben Sie Miss Forth erlaubt, die Leiche zu obduzieren.«
»Gütiger Himmel, wie sich der Klatsch in diesem Dorf verbreitet! Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die ich Miss Forth keineswegs gestatte, Sir Edward. Trotzdem tut sie sie.«
»Eine überaus temperamentvolle junge Dame«, murmelte Sir Edward. Sein Blick wanderte zu Nefret, die sich mit Mr. Davis unterhielt. Beide schienen sich großartig zu amüsieren, und ich hatte den Eindruck, daß ihr Halsausschnitt noch tiefer gerutscht war.
»Also, was ist mit dem Mord, Mrs. Emerson?« bohrte Sir Edward. »Sie müssen doch eine Theorie haben.«
»Ich habe immer eine Theorie«, erwiderte ich. »Aber in diesem Fall werde ich sie Ihnen nicht erläutern. Sie würden mich nur auslachen. Emerson hat mich bereits
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