Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
einen Mord ab. Vater – und Mutter natürlich auch – eilt ein furchteinflößender Ruf voraus; wäre uns beiden etwas zugestoßen, hätten sie Vergeltung gefordert. Layla erwähnte, daß ihre Auftraggeber etwas besonders Unangenehmes mit mir und vermutlich auch mit David im Schilde führten. Ich habe sie nicht gebeten, mir das näher zu erläutern, da mein Verstand bereits …«
»Hör auf damit«, sagte ich erzürnt.
»Ja, Mutter.«
»Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich als nächstes fragen wollte.«
»Entschuldigung, Mutter.«
»Ich weiß, was ich als nächstes fragen wollte«, sagte Nefret. »Eine einfache und doch lebenswichtige Frage. Was wollen diese Leute?«
»Uns«, antwortete Ramses. »Uns beide, anderenfalls hätten sie einen von uns ermordet im Tempel zurückgelassen.«
»Das ist zu einfach«, konterte Nefret. »Entführung ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Wenn ihr nicht entkommen wäret, hätten wir eine Forderung erhalten – aber wofür? Geld? Den Papyrus? Oder … etwas anderes?«
»Eine Sekunde«, stieß Cyrus hervor, während er an seinem Spitzbart zerrte. »Ich komme nicht mehr mit. Welcher Papyrus?«
»Die Kinder haben ihn in Kairo erworben«, erklärte ich. »Von einem Händler – demselben Burschen, den man vor einigen Tagen aus dem Nil gefischt hat, vermutlich zerfleischt von einem Krokodil.«
»Aber Amelia«, setzte Cyrus an.
»Ja, ich weiß. In der Umgebung von Luxor gibt es keine Krokodile. Ich werde dir das alles später erklären. Irgendjemand scheint den Papyrus zurückhaben zu wollen. Meinst du, das war das Motiv hinter dem unseligen Abenteuer der Jungen, Nefret?«
»Es gibt noch eine weitere Möglichkeit.«
»Und die wäre? Es ist schon spät und …«
»Ich fasse mich kurz«, sagte Nefret. Der Unterton in ihrer Stimme gefiel mir gar nicht. »Einmal angenommen, der Anschlag auf Tante Amelia in London und unsere verschiedenen Treffen mit Yussuf Mahmud stehen in irgendeiner Beziehung. Wenn eine Person hinter allem steht, dann muß diese Person der Meisterverbrecher persönlich sein. Alle Hinweise führen uns auf seine Spur – die maschinengeschriebene Nachricht, die Möglichkeit, daß der Papyrus seiner Privatsammlung entstammte, sogar die Tatsache, daß jemand hinter Ali der Ratte Ramses erkannt hat. Ich gebe zu, das ist ein dürftiges Argument, dennoch gehört Sethos zu den wenigen, die wissen, daß ihr sein geheimes Laboratorium entdeckt habt, und falls er – wie ich stark annehme – seitdem mit euch in Kontakt getreten ist, kennt er vermutlich unsere Gewohnheiten. Jetzt bist du an der Reihe, Tante Amelia. Es wird Zeit, daß du uns alles erzählst, was du über diesen Mann weißt. Und ich meine damit wirklich alles!«
Gütiger Himmel, das Kind funkelte einen beinahe ebenso bedrohlich an wie Emerson in seinen besten Zeiten! Ich wage zu behaupten, daß ich ihrem Blick widerstanden hätte, dennoch konnte ich ihrer Forderung einen gewissen Wahrheitsgehalt nicht absprechen.
»Du hast recht«, sagte ich. »Wir sind Sethos seitdem erneut begegnet, und ich … Ach, du meine Güte. Zweifellos weiß er eine ganze Menge mehr über uns alle, einschließlich Ramses, als er wissen sollte.«
8. Kapitel
Unsere Diskussion endete an diesem Punkt, da Ramses’ Gesichtsfarbe einen ungesunden Graugrünton angenommen hatte und Nefret ihn nachdrücklich aufforderte, ins Bett zu gehen. Unter vergeblichem Protest machte er sich auf den Weg, deshalb versicherte ich ihm, daß wir nicht ohne ihn fortfahren würden. »Ich muß meine Gedanken reflektieren«, erklärte ich. »Und in eine logische Reihenfolge bringen. Ich glaube nicht, daß ich dazu augenblicklich in der Lage bin.«
»Wen wundert’s«, sagte Emerson. »Das war ein anstrengender Abend für dich, meine Liebe. Ab ins Bett mit dir. Morgen früh werden wir unsere Diskussion fortsetzen.«
Katherine räusperte sich. »Amelia, hielten Sie meine Bitte für unverfroren, daß Cyrus und ich Ihrem Gespräch beiwohnen dürfen? Wissen Sie, ich sterbe vor Neugier. Und Sie möchten doch sicherlich nicht meinen Tod verantworten.«
In diesem Augenblick hätte ich allem zugestimmt, nur um endlich allein zu sein – um, wie gesagt, meine Gedanken zu reflektieren. Eine kurze Überlegung bestätigte mir, daß sowohl Sympathie als auch Neugier zu ihrer Bitte geführt hatten und daß uns niemand besser zur Seite stehen konnte als diese treuen Freunde. Cyrus wußte mehr über unseren außergewöhnlichen Lebensweg als die meisten anderen, und
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