Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
die zynische Intelligenz seiner Frau hatte mir in der Vergangenheit gute Dienste geleistet. Mir fiel ein, daß der folgende Tag ein Freitag war, der heilige Tag der Moslems, an dem wir später und ausgiebiger frühstückten, und ich lud sie für den kommenden Morgen ein. Mein geliebter Emerson packte mich so fürsorglich ins Bett, wie es eine Frau nicht besser hätte machen können, und Fatima bestand darauf, daß ich als Einschlafhilfe ein Glas warme Milch mit Kardamom trank.
»Ihr seid viel netter zu mir, als ich das verdiene«, sagte ich. »Komm ins Bett, Emerson, du hattest einen ebenso harten Tag wie ich.«
»Später, mein Schatz.«
»Du willst doch nicht die ganze Nacht aufbleiben und Wache halten, oder?«
»Nicht die ganze Nacht. David und ich wechseln uns ab. Ich denke, er hätte mich niedergeschlagen, wenn ich dem nicht zugestimmt hätte.« Emersons nachdenkliche Gesichtszüge entspannten. »Er ist wieder bei Kräften, Peabody. Selims junge Frau hat ihn mit Lammeintopf vollgestopft, und Nefret versicherte mir, daß seine Wunde nicht der Rede wert sei.«
»Ich wollte ihn noch einmal untersuchen«, murmelte ich. »Ramses auch. Aber sie hat mich nicht gelassen …« Emerson ergriff meine Hand. Seine Stimme schien von weit her an mein Ohr zu dringen. »Sie hat es nicht so gemeint, das weißt du doch, Peabody.«
»Doch, das hat sie. Oh, Emerson – bin ich wirklich so im Unrecht? Ich glaubte ernsthaft, ich täte das Richtige … nur zu ihrem eigenen Besten …« Als ich herzhaft gähnend innehielt, dämmerte mir schlagartig die Wahrheit. »Zum Teufel mit dir, Emerson! Du hast Laudanum in die Milch gemischt. Wie konntest du …«
»Schlaf gut, mein Schatz.« Ich spürte nur noch, wie seine Lippen meine Wange berührten. Dann war ich eingeschlummert.
Erholt und fest entschlossen, das Zepter wieder in die Hand zu nehmen, wachte ich noch vor den anderen auf. Emerson schlief tief und fest; er rührte sich nicht einmal, als ich ihm einen Kuß auf seine stopplige Wange hauchte. Also zog ich mich an und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer.
Die anderen befanden sich im gleichen Zustand wie Emerson, selbst David, für den sein Cousin Achmet die Wache übernommen hatte. Eine Zeitlang stand ich an Ramses’ Bett und betrachtete ihn. Nefret mußte ihm Laudanum oder eines ihrer neumodischen Medikamente eingeflößt haben, denn er schlummerte fest. Als ich die zerzausten Locken aus seinem Gesicht strich, brummte er lediglich und lächelte.
Eifrig Notizen machend, befand ich mich auf der Veranda, als Cyrus und Katherine heranritten, Cyrus auf seiner Lieblingsstute Queenie und Katherine auf einem lammfrommen, stämmigen Pony. Ihr Strohhut wurde unter ihrem Kinn von einer riesigen Schleife zusammengehalten, und sie erinnerte mich mehr denn je an ein niedliches Kätzchen.
Kurz darauf erschienen Emerson und die Kinder, und wir nahmen das Frühstück ein. Die Unterhaltung war sporadisch, und das nicht nur, weil wir aßen. Jeder spürte die unterschwellige Anspannung. Es erleichterte mich zu sehen, daß Ramses’ Appetit wiederhergestellt war, auch wenn es ihm etwas schwerfiel, mit der linken Hand zu essen. Ich fragte mich, wie es Nefret gelungen war, ihn zum Tragen einer Armschlinge zu bewegen, und ob seine Verletzungen schwerwiegender waren, als von mir angenommen, und ob ich nicht darauf bestehen sollte, ihn selbst zu untersuchen …
»Die Schlinge dient lediglich zum Schutz seiner Hand, Tante Amelia. Sein Arm ist unverletzt.«
Das waren die ersten von Nefret an mich gerichteten Worte, seit sie in der Nacht zuvor ihre schmerzvollen Anschuldigungen geäußert hatte. Ihre blauen Augen wirkten erschrocken und ihr Lächeln verkrampft. Voller Zuneigung erwiderte ich ihr Lächeln.
»Danke, mein Liebes, daß du mich beruhigst. Ich habe volles Vertrauen in deine Fähigkeiten. Und ich danke dir, daß du dich so fachmännisch um mich gekümmert hast.
Ich habe wie ein Baby geschlafen und bin erholt aufgewacht.«
»Oh, Tante Amelia, was ich gestern abend gesagt habe, tut mir so leid! Ich wollte nicht …«
»Deine Wiederholungen wirken langsam ermüdend, Nefret.« Ramses schob seinen Teller weg. »Und du verschwendest nur unsere Zeit. Wie ich sehe, hat Mutter ihre Überlegungen in der für sie typischen, effizienten Art und Weise schriftlich festgehalten. Wollen wir sie bitten, den Anfang zu machen?«
Ich schob meine Blätter zusammen, hob sie auf und wünschte, ich hätte das schon getan, bevor der Geierblick meines Sohnes
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