Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
jedenfalls darauf hin, dass ein Begräbnis stattfand. Von noch größerer Bedeutung ist die Tempelanlage selbst. Nur wenige sind freigelegt worden und –«
»Verschone uns mit deinem Vortrag, Emerson.« Ich lächelte. »Wir wissen alle, dass du Tempel Pyramiden und auch Gräbern vorziehst.«
»Weihnachten habe ich Sie darauf hingewiesen«, meinte Cyrus. »Weil ich damit rechnete, Sie würden vorbeischauen.«
»Hmhm.« Emerson tastete nach seinem Kinngrübchen. »Ich war zu beschäftigt, Vandergelt.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Mit dem einen oder anderen.« Cyrus’ scharfsichtige blaue Augen blickten von Emerson zu mir. Augenblicke später fuhr er scheinbar beiläufig fort: »Neulich habe ich mit MacMahon gesprochen. Man hält mich für neutral in diesem Krieg; ich habe Freunde und Söhne von Freunden in beiden Armeen. Allerdings glaube ich, dass man einen Standpunkt vertreten muss, und ich habe mich für eine Seite entschieden. Habe ihm meine bescheidenen Dienste angeboten.«
Er bot sie auch uns an. Er äußerte sich nicht explizit, denn bei Cyrus, der uns ausgesprochen gut kannte, reichte allein die Andeutung. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich diesen loyalen Freunden vorbehaltlos anvertraut, auf deren Unterstützung und Rat ich mich so oft verlassen hatte. Ich hatte nicht die Befugnis. Auch ich stand unter Befehl.
Wir aßen früh zu Abend und zogen uns dann zurück, um uns zu kostümieren. Die Vandergelts brachten einiges an Reisegepäck mit, da ich sie eingeladen hatte, die beiden nächsten Nächte bei uns zu schlafen. Gönnerhaft akzeptierte Emerson mein für ihn ausgewähltes Kostüm – das eines Kreuzritters. Ich war seine Dame, in fließenden Gewändern mit auffälligem Kopfputz. Emerson begeisterte sich für Schwert und Bart, äußerte aber Bedenken gegenüber meiner Spitzhaube, da sie etwas wackelte und jemandem ein Auge ausstechen konnte. Seine Beschwerde ignorierend, nahm ich seinen Arm, und wir schlenderten in den Salon, wo Katherine und Cyrus uns erwarteten, kostümiert als Höflinge von Ludwig XIV., mit gepuderten Perücken.
Kurz darauf stieß Ramses zu uns. Erleichtert stellte ich fest, dass er sich nicht für eine seiner widerwärtigsten Tarnungen entschieden hatte – die eines zerlumpten Bettlers oder eines übel riechenden Kameltreibers. Natürlich wusste er es besser; es wäre töricht gewesen, wenn er seine diesbezügliche Verwandlungsfähigkeit zur Schau gestellt hätte. Er hatte sich nicht viel Mühe gemacht; ein breitrandiger »Stetson«, eine Leihgabe von Cyrus, ein Halstuch und zwei Revolver im Gürtel verwandelten ihn in einen attraktiven und wenig überzeugenden amerikanischen Cowboy. Ich bezweifelte doch sehr, dass amerikanische Cowboys weiße Hemden und Reithosen trugen.
»Um Himmels willen, Ramses«, entfuhr es mir, als er seinen Hut abnahm und sich verbeugte. »Willst du diese Waffen im Shepheard’s tragen?«
»Sie sind nicht geladen, Mutter.«
»Was ist mit den Sporen?«, fragte Cyrus augenzwinkernd.
»Ich fürchtete, dass sie Kratzspuren auf dem Tanzparkett hinterlassen könnten.«
»Ganz recht«, bekräftigte ich.
Nefret hatte Anna mit in ihr Zimmer genommen; gemeinsam tauchten sie wieder auf. Anna wirkte recht hübsch in ihrem farbenprächtigen Zigeunerinnen-Kostüm mit riesigen Goldkreolen; doch der Anblick meiner Tochter in den weiten Hosen und dem knappen Oberteil einer Orientalin führte zu einem empörten Aufschrei meinerseits. Das Oberteil war aus hauchzartem Stoff und reichte ihr kaum bis zur Taille.
»Nefret! Das willst du doch wohl hoffentlich nicht in der Öffentlichkeit tragen?«
»Warum denn nicht?« Sie wirbelte herum, so dass sich die voluminösen Hosenbeine aufblähten. Wenigstens waren sie blickdicht, da aus schwerer Damastseide geschneidert. »Das Kostüm ist züchtiger als ein Abendkleid.«
»Aber dein – äh – deine Bluse ist … Trägst du irgendetwas darunter? Mein liebes Mädchen, wenn einer der Gentlemen beim Tanz seinen Arm um deine Taille schlingt …«
»Wird ihm das sicher ausnehmend gut gefallen«, versetzte Nefret.
»Vermutlich werde ich doch noch zur Waffe greifen müssen«, meinte Ramses gedehnt.
Nefret schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Der Professor trägt ein Schwert; er kann meine Ehre verteidigen. Das wäre wesentlich romantischer. Bitte, Tante Amelia, reg dich nicht auf; es ist doch nur die Unterbekleidung. Ich werde einen Überwurf tragen und einen Gürtel.«
Schmunzelnd auf Grund des kleinen
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