Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
Bedenken genauso zerstreuen müssen, da ich nicht beabsichtigte, mit ihm zu argumentieren.
Die Vandergelts trafen zum Tee ein. Nachdem sie sich der störenden Schutzkleidung entledigt hatten, die eine Autofahrt erforderte, zogen wir Frauen uns auf die Dachterrasse zurück, während Cyrus unsere letzten Entdeckungen bewunderte, Emerson ihm alles erklärte und Ramses versuchte, zu Wort zu kommen. Vermutlich wäre Nefret liebend gern bei ihnen geblieben, doch Anna machte keinen Hehl aus ihrem Desinteresse, und meine Tochter war zu wohlerzogen (von mir), um einen Gast vor den Kopf zu stoßen.
Anna war überglücklich, von ihren Aufgaben als Krankenschwester berichten zu können. Eine einzige höfliche Frage meinerseits löste einen Schwall von Informationen aus, auf die ich teilweise verzichten konnte. Ihre Mutter unterbrach sie schließlich.
»Sprich bitte nicht von Verletzungen und … und Wundinfektionen«, entfuhr es Katherine. »Schon gar nicht beim Tee.«
Anna presste die Lippen zusammen. Ihre optische Erscheinung hatte sich im Laufe der letzten Wochen sehr zu ihrem Vorteil verändert. Nefret hatte ihr sanfte Hinweise auf Kleidung und Frisuren gegeben, doch die positivste Veränderung lag in ihrer Ausstrahlung. Auch eine unscheinbare Frau wirkt attraktiv, wenn sie glücklich und stolz auf sich ist. Als ich den altbekannten verkniffenen Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte, nahm ich mir vor, Katherine behutsam darauf hinzuweisen, nicht so streng mit dem Mädchen zu sein. Bertie war stets ihr Liebling gewesen und augenblicklich verzweifelte sie fast vor Sorge um den Jungen.
Als ich fragte, ob sie etwas von ihm gehört habe, nickte sie. »Von dem Brief ist aber nicht mehr viel übrig, Amelia. Er ist voller Löcher, da der Zensor mehrere Sätze herausgeschnitten hat. Es ist so ungerecht, findest du nicht auch?«
»Manche Zensoren sind etwas übereifrig, denke ich«, räumte ich ein. »Evelyn sagt dasselbe von Johnnys Briefen. Willys scheinen relativ unbeanstandet einzutreffen, doch er ist schon immer vorsichtiger gewesen als sein Bruder.«
»Johnnys Sinn für Humor verleitet ihn zu Indiskretionen«, warf Nefret mit einem verständnisvollen Lächeln ein. »Ich kann mir gut vorstellen, dass er boshafte Bemerkungen über einen seiner Offiziere macht oder das ihnen vorgesetzte Essen kritisiert.«
»Das wäre moralschädigend für die Zivilbevölkerung«, wandte Anna ein, deren Sinn für Humor einiges zu wünschen übrig ließ.
Schließlich gesellten sich die Herren der Schöpfung zu uns, gefolgt von Seshat, die, wie ich erleichtert feststellte, kein Interesse an dem Kongress zeigte. Sie ließ sich neben Ramses nieder. Cyrus redete noch immer von der königlichen Statue, die er nach bestem Wissen und Gewissen lobte.
»Es ist einfach nicht fair«, meinte er kopfschüttelnd. »Nicht, dass ich sie euch missgönnte, Leute, aber ein solches Kleinod würde auch mir gut zu Gesicht stehen.«
»Oder ein unversehrtes Königsgrab oder ein mit Juwelen geschmückter Mumienschrein?«, erkundigte sich Nefret. Sie und Cyrus waren gute Freunde und er schätzte ihre scherzhaften Bemerkungen. Sein verdrießliches Gesicht hellte sich auf.
»Etwas in der Art. Habt ihr nicht auch den Eindruck, Leute, dass ich längst überfällig bin für einen kleinen Glückstreffer? All die Jahre in Luxor ohne einen einzigen Fund!«
»Verzeihung, Sir, aber das ist schlichtweg Untertreibung«, wandte Ramses ein. »Das von Ihnen entdeckte Grabmal in Dra Abu’l Naga war einzigartig. Es gab neue Aufschlüsse über die Architektur der zweiten Zwischenzeit.«
»Aber es war leer!«, protestierte Cyrus. »Bis auf ein paar Gefäße und eine ramponierte Mumie.«
»Wie kommen Sie in Abu Sir voran?«, erkundigte sich Emerson und kramte seine Pfeife hervor.
»Nun ja, das ist eine andere Geschichte. Ich war mir sicher, in der Nähe dieser jämmerlichen Pyramidenkonstruktion auf Privatgräber zu stoßen, aber was wir gefunden haben, scheint ein Tempel zu sein.«
»Was?«, brüllte Emerson. »Der Totentempel der unvollendeten Pyramide von Abu Sir?«
»Gütiger Himmel, Emerson, du klingst, als handelte es sich um die versunkene Stadt Atlantis!«, meldete ich mich zu Wort. »Es gibt eine ganze Reihe unvollendeter Pyramiden – zu viele, nach meinem Ermessen. Diese hat nicht einmal eine Substruktur.«
»Und das ist das Einzige, was dich an Pyramiden interessiert«, brummte Emerson. »Dunkle, staubige, unterirdische Gänge! Die Existenz eines Totentempels weist
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