Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
vorwurfsvoll. »Der Vater der Flüche will die Exkavation der letzten Mastaba erst nach eurer Rückkehr beenden und die kleine Taube vermisst euch. Sie weinte bitterlich, als sie nicht mit uns nach Luxor kommen durfte.«
Ramses schmunzelte über seine Ausdrucksweise, worauf Nefret sagte: »Du könntest ihr wenigstens ein paar persönliche Zeilen schreiben, Ramses. Setz dich und mach es sofort, dann kann Daoud das Briefchen mitnehmen. Musst du schon heute Abend zurück, Daoud?«
»O ja. Der Vater der Flüche braucht mich dringend. Ich werde noch kurz bei Yusuf in Gurneh vorbeischauen, bevor ich den Zug nehme. Kann ich noch irgendetwas für euch tun, bevor ich gehe? Briefe mitnehmen? Neuigkeiten überbringen?«
Neuigkeiten gab es im Überfluss. Die Frage war nur, wie viel sollten sie Daoud erzählen? Sie hatte ihren Brief tags zuvor auf die Post gegeben, aber vermutlich würden sie ihn erst in der nächsten Woche erhalten.
»Ja«, erwiderte sie. »Es gibt Neuigkeiten. Wichtige sogar.«
Ramses sah von dem Papierbogen auf, über dem er brütete. (Warum fiel es Männern so schwer, ein kleines, oberflächliches Briefchen zu schreiben?)
»Zunächst einmal«, hub sie an, »löchert Miss Minton jeden in Luxor mit Fragen zu den illegalen Antiquitätengeschäften. Zweitens …«
»Nefret«, warf Ramses beschwörend ein. Er hatte den Grund für ihr Zögern missinterpretiert. Stirnrunzelnd erwiderte sie seinen Blick. Glaubte er wirklich, sie würde die Eltern ohne sein Einverständnis von Sethos’ Wiederauftauchen informieren? Die Nachricht von dem Unfall musste ebenfalls warten; Daoud würde sie alarmierender darstellen, als sie in Wahrheit war. Vielleicht beharrte er sogar darauf, in Luxor zu bleiben und ihren Bewacher zu spielen. »Zweitens ist ein Brief unterwegs«, sagte sie sanft.
»Und drittens hat Mr Bertie ein neues Interessengebiet gefunden. Ihr Name lautet Jumana.«
»Drei Dinge.« Daoud schien völlig aus dem Häuschen. »Kannst du alles behalten?«
»Aber ja.« Daoud war zwar ein bisschen langsam, aber seinem Verstand und seinem Erinnerungsvermögen fehlte nichts, und er war überglücklich, der Überbringer wichtiger Informationen zu sein. Er zählte die Punkte an seinen Fingern ab. »Die Dame Minton erkundigt sich nach Antiquitätendieben. Ein Brief wird kommen. Mr Bertie hat ein neues Interesse, Jumana. Wer ist das?«
»Yusufs Tochter. Wir werden sie heute Nachmittag treffen; sie ist eine überaus intelligente junge Frau, und wir hoffen, sie zur Ägyptologin auszubilden. Ich weiß genau, dass die Sitt Hakim deine Meinung über das Mädchen erfahren will.«
»Ah«, murmelte Daoud gedankenverloren. »Ein Mädchen. Hmmm.«
Nefret wartete, bis er die Vorstellung verinnerlicht hatte. Sie spähte zu Ramses und sagte ungeduldig: »Schreib doch endlich ein paar Zeilen. Was, ist doch völlig zweitrangig, Hauptsache, sie hört von dir.«
»So«, sinnierte Daoud. »Ein Mädchen.« Seine nachdenkliche Miene hellte sich auf, als ihm eine plausible Erklärung dämmerte. »Es wird sein, wie Allah und die Sitt Hakim entscheiden.«
»Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Ramses, nachdem Daoud sich überschwänglich von ihnen verabschiedet hatte. »Was für eine hinterhältige Frau du doch bist. Daoud wird Yusuf die Nachricht von unserem Vorhaben darlegen, und wenn der arme alte Yusuf Einwände hat, wird Daoud, der Allah und die Sitt Hakim – nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge – für unfehlbar hält, ihm den Kopf zurechtrücken.«
Nefret gab sich geziert. »Daran hatte ich auch schon gedacht.«
Cyrus’ Kutsche holte sie um fünf Uhr ab. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie so früh käme, und Nefret beeilte sich, ihre Toilette zu beenden. Sie war mit ihren Ohrringen beschäftigt, als Ramses aus dem Badezimmer kam. Genau wie sein Vater hatte er keinen Blick für Damenkleidung, indes vermochte er Arbeitsgarderobe von einer Abendrobe zu unterscheiden.
»Ich wusste nicht, dass wir in formeller Kleidung erscheinen sollen. Sie werden Bertie doch gewiss nicht in ein gestärktes Hemd und den ganzen anderen Firlefanz zwängen.«
»Was wolltest du anziehen?«
»Oh …« Betreten schaute er sich im Zimmer um. »Das Übliche, denke ich. Irgendwas.«
»Zieh an, was du magst«, schlug Nefret vor. »Es sind ja nur die Vandergelts. Sie werden nicht weiter darauf achten.«
Cyrus hatte sich in Schale geworfen; er war ein wenig eitel und sein Kleiderschrank stand dem seiner Frau in nichts nach.
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