Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
zunehmend hilfloseren Begleiter geschlagen ist und wenn einem bei jedem Geräusch das Herz stehen bleibt. Wir waren nicht weit entfernt vom Saum des Kulturlandes, eine so gestochen scharfe Linie, als hätte man sie mit dem Lineal gezogen, und dort bot sich Schutz in Form von Bäumen und Bewässerungskanälen und Getreidefeldern. Sobald ich es vermochte, machte ich mir das zunutze. Ich kann nicht abstreiten, dass ich Angst hatte um mich und auch um ihn. Wenn sie ihn töten oder gefangen nehmen wollten, konnten sie keine Zeugin brauchen. Wer waren sie überhaupt? Eine Bande von rivalisierenden Ganoven? Mit Sicherheit keine Einheimischen. Diese flüchteten, wann immer sie beim Raub von Artefakten ertappt wurden; und niemand regte sich darüber auf, mit Ausnahme einiger engstirniger Ägyptologen. Mord war etwas völlig anderes.
Nein, keine Einheimischen. Sie hätten niemals die Dreistigkeit besessen, mich als Lockvogel einzusetzen, um an Sethos heranzukommen. Sayid hatten sie ebenfalls benutzt. Vermutlich hatte er stillvergnügt in seinen zerlumpten Ärmel gekichert, während er mit mir feilschte. Man hatte ihn dafür bezahlt, mir die fragliche Information zu geben, und ich glaubte auch zu wissen, warum. Sie mussten schon vorher versucht haben, ihm eine Falle zu stellen. Sie hatten versagt, weil er zu flink und zu wachsam war. Aber wenn ich vor seiner Tür stand, naiv und einfältig und unfähig – eine Frau, mit anderen Worten –, könnte ich ihn gerade lange genug aufhalten.
Wir lagen flach in einem der schlammigeren Bewässerungsgräben, als Schritte langsam die Böschung passierten und sich entfernten. Ich verabscheute den Gedanken, besagten Unterschlupf verlassen zu müssen. Minutenlang glaubte ich nicht einmal, es zu können, aber schließlich schaffte ich es, Sethos aufzurichten und fortzuzerren.
Er hatte eine ganze Weile geschwiegen und äußerte sich erst wieder, als ich schließlich die Lichter der Dahabije vor mir sah und den Fehler beging, eine Andeutung zu machen, die ich für eine Ermutigung hielt.
»Da ist es. Nur noch ein kurzes Stück.«
Die Heftigkeit seiner Reaktion traf mich völlig unerwartet. Er riss sich von mir los und taumelte zurück. »Wo sind wir?«
Ich erklärte es ihm. Er schlang einen Arm um einen Baumstamm und wehrte mich mit der anderen Hand ab. »Nein.«
»Du brauchst einen Arzt. Wäre es dir lieber, wenn ich einen Bootsmann fände, der uns nach Luxor übersetzt?«
»Das brächtest du fertig, nicht wahr?«
»Ja. Entscheide dich. Mir erscheint es das kleinere von zwei Übeln.«
Ihm entfuhr ein sonderbares, gepresstes Lachen. »Das kleinere von … drei Übeln. Nein, stimmt nicht. Das kleinste von dreien. Hier zu bleiben … das schlimmste …«
Er entglitt meinen ausgestreckten Händen und fiel schwer zu Boden. Ich wusste, dass ich ihn niemals würde aufrichten können; ein krampfartiges Zittern übermannte seinen Körper, dann lag er reglos und apathisch. Ich zog meine Jacke aus und deckte sie über ihn. Er hatte weiter gedacht als ich; wenn ich ihn auf das Dock und über die Gangway gezerrt hätte, hätte tags darauf ganz Luxor darüber geredet. Ein Besuch von mir jedoch, selbst um diese späte Stunde, würde nicht einmal für Erstaunen sorgen. Bei den Einheimischen hatte ich bereits einen Spitznamen: »die Frau, die Geheimnisse sucht«.
Obwohl ich mich nach Kräften säuberte, den eingetrockneten Lehm von Rock und Jacke klopfte und einige gelockte Strähnen, die sich aus dem einstmals ordentlich zusammengesteckten Nackenknoten gelöst hatten, zu bändigen versuchte, war der Wachtposten neben dem Landungssteg sichtlich bestürzt über mein Erscheinungsbild.
»Hatten Sie einen Unfall, Sitt?«
»Oh, wie gut, Sie sprechen Englisch«, sagte ich erleichtert. »Ich habe mich verlaufen und bin in einen Bewässerungskanal gefallen. Würden Sie Mr und Mrs Emerson ausrichten, dass ich Sie sprechen möchte?«
»Sie sind nicht hier.«
Der Umstand, dass die Gangway immer noch ausgelegt war, hätte mich vorwarnen müssen, dennoch war es wie ein Schlag in den Magen. »Wann werden Sie zurückkommen?«
»Ich weiß nicht, Sitt. Sie sind auf dem Schloss von Effendi Vandergelt«, fügte er mit einer gewissen Skepsis hinzu. Mein Äußeres wirkte nicht eben Vertrauen erweckend.
Ich dankte ihm und wandte mich ab. Ich hatte gar nicht realisiert, wie sehr ich mir doch wünschte, meine Verantwortung Dritten überlassen zu können; wie eine unerträgliche Last sank sie zurück auf meine
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