Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
entgegenkommend, Ihre ägyptologischen Freunde hingegen sahen keinen Grund, warum sie mir nicht sagen sollten, was sie wussten. Howard Carter schien ein nie versiegender Informationsquell, nachdem ich ihm ein paar Drinks spendiert und ihn überzeugt hatte, dass seine Freunde, die Emersons, nichts dagegen hätten, wenn er sich mit mir austauschte. Schließlich hatten sie ihn nicht zu Stillschweigen verdonnert, oder? Alles und jeder wusste ohnehin schon davon, nicht wahr?
Nun ja, gewiss, gestand er. Die Emersons hätten freimütig über ihren Intimfeind geplaudert. Ob ich schon davon gehört hätte, wie er die Identität eines koptischen Priesters angenommen habe, während seine Männer illegal in einem nahe gelegenen Gebiet gegraben hätten. Ich erfuhr auch von der neuerlichen Zunahme illegaler Exkavationen und Plünderungen. Das meiste zentrierte sich auf die Umgebung von Luxor, und Amelias Versuch, mich am Herkommen zu hindern, bestärkte mich lediglich in meinem Entschluss, Nachforschungen anzustellen. Was hatte ich schließlich zu verlieren?
Es war Sayid, der mir schließlich den entscheidenden Hinweis lieferte. 90 Prozent seiner Schilderungen waren frei erfunden, und ich musste einen langen, nervtötenden Tag damit zubringen, mir seine Hirngespinste über den Meister anzuhören – dessen rechte Hand er gewesen zu sein beteuerte –, ehe ich ihm das Entscheidende entlockte. Gibt es irgendwas, was dieser Mann gegen bare Münze nicht preisgeben würde?«
»Bislang hat es noch niemand herausgefunden«, murmelte Ramses. »Deshalb stellen diejenigen, die um seinen Charakter wissen, auch sicher, dass er nicht in die Versuchung gerät, sie zu hintergehen. Er hat Ihnen erzählt, wo Sie Sethos finden würden? Woher wusste er das?«
»Es ist in Luxor bekannt, dass der Meister zurückgekehrt ist.« Sie klang, als würde sie ihn zitieren. »Seinen Aufenthaltsort kennt keiner. Genauso wenig wie seine wahre Identität. Er hat 1000 Gesichter und 10.000 Namen.«
Die Nacht war ausnehmend ruhig. Kein Laut, nichts rührte sich, weder an Deck noch auf dem Dock. Trotzdem lief es Ramses eiskalt über den Rücken.
»Die beschönigenden Einzelheiten interessieren mich nicht«, sagte er gewissermaßen schroff. »Berichten Sie mir lediglich die Fakten.«
Aus Manuskriptsammlung M
(Die Herausgeberin hat beschlossen, Miss Mintons überstürzte Schilderung, die Ramses aller Wahrscheinlichkeit nach in noch knapperer Form wiederholt hat, durch die von der Journalistin zu einem späteren Zeitpunkt niedergeschriebene Version zu ersetzen. Diese ist wesentlich aufschlussreicher.)
Ich hätte wissen müssen, dass, wenn ich ihm erneut begegnete, es unter ebenso wildromantischen Umständen sein würde wie zuvor. Diesmal tat er es nicht vorsätzlich. Wie gewisse andere Bekannte von mir umweht ihn die Melodramatik gleich dem schwarzen Umhang eines Bühnenschurken.
Unmittelbar nach meinem Eintreffen in Luxor suchte ich Ramses und Nefret Emerson auf. Sie waren nicht sonderlich erfreut, mich zu sehen. Ich konnte dies nicht als Bestätigung meiner Verdachtsmomente (oder Hoffnungen) werten, gleichwohl bewies es mir, dass ich von dieser Seite keine Unterstützung erwarten durfte. Also machte ich die Runde bei den Ägyptologen in Luxor. M. Legrain gestand mir freundlicherweise, dass die Plünderung seiner Magazine eine nicht unbeträchtliche Kenntnis und Erfahrung vorausgesetzt hätte; Mr MacKay äußerte sich dahin gehend, dass die ganze Geschichte dummes Zeug wäre und die Emersons dafür bekannt, dass sie die wildesten Geschichten erfinden würden; Kuentz schien sich bestens zu amüsieren, indem er mir noch haarsträubendere Geschichten auftischte. Er hielt sich wohl für oberschlau, aber seine Schilderungen bestätigten meinen Verdacht. Irgendjemand stand hinter diesem neuerlichen Anstieg von Diebstahlsdelikten hier in Luxor. Irgendjemand hatte das Deutsche Haus für illegale Zwecke missbraucht. Sorgfältig brachte ich alles zu Papier, Lügen und anderes mehr.
Seit meiner Ankunft hatten mich diensteifrige Dragomanen belagert. Ich weiß nicht mehr, wer mir Sayid empfohlen hat; er war von Anfang an mit von der Partie und man konnte ihn einfach nicht übersehen. Er ist einer der hässlichsten Menschen, die mir je begegnet sind, und so lästig wie eine Schmeißfliege. Ich brachte einen langen, nervtötenden Tag damit zu, mir die Lügen des alten Burschen über den Meister anzuhören, dessen getreuer Stellvertreter er zu sein gewesen beteuerte, ehe
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