Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
wenn er mit ihr mithalten will.« Aufgrund seiner Haltung schloss ich, dass er und Katherine das Thema bereits erörtert hatten. Natürlich stimmte ich Cyrus zu. Ich hielt es für völlig ausgeschlossen, dass sich zwischen den beiden eine ernsthafte Beziehung entwickeln könnte – das Mädchen war erst 16, und sobald Bertie wieder genesen war, würde er sich zweifellos zu anderen jungen Frauen hingezogen fühlen. In der Zwischenzeit konnte alles, was den Jungen motivierte, nur gut sein. Einzig die Zeit würde entscheiden, ob sein Interesse an der Ägyptologie von Dauer war. Ich hoffte es jedenfalls. Es wäre genau das Richtige für ihn und würde Cyrus überaus gefallen.
Noch ehe ich meine Einschätzung zum Ausdruck bringen konnte – erheblich taktvoller als in diesem persönlichen Tagebuch –, unterbrach mich Sennia. Sie wandte sich kurz von Ramses ab und verkündete: »Ich kann Bertie die Deutung der Hieroglyphen beibringen. Er braucht keinen anderen Lehrer.«
»Da bin ich ganz sicher.« Bertie grinste verständnisvoll.
»Aber wir wussten doch nicht, dass du kommst, Sennia, und du wirst bald wieder nach Kairo zurückreisen. Ich würde dich gern zu unserem Unterricht einladen, fürchte jedoch, dass er für dich nicht anspruchsvoll genug ist.« Das brachte Sennia in einen Gewissenskonflikt, denn obschon sie Berties Einschätzung ihrer Fähigkeiten augenscheinlich teilte, gab sie ihre Rolle als Mentorin nur ungern auf.
Während sie noch darüber nachsann, verkündete Albert, dass das Mittagessen serviert sei, und wir mussten eine weitere Mahlzeit in uns hineinzwingen. Ich hatte Ramses intensiv beobachtet und während des Mahls bemerkte ich Anzeichen von Nervosität – eine keineswegs einfache Feststellung bei einem so beherrschten Menschen, für seine Mutter indes klar ersichtlich. Mein Misstrauen verstärkte sich, als er und Nefret Katherines Vorschlag ablehnten, dass wir vier vielleicht ein bisschen Zeit für uns haben wollten.
»Du möchtest dich gewiss ein Weilchen ausruhen«, sagte Nefret zu mir. »Man schläft nicht gut im Zug, und du musst entsetzlich beschäftigt gewesen sein, um in der kurzen Zeitspanne nach eurer Mitteilung alles für die Reise zu arrangieren.«
»Wer muss ausruhen?«, schaltete sich Emerson ein.
»Cyrus und ich werden nach Gurneh aufbrechen, um mit Yusuf die Anwerbung einer neuen Mannschaft zu besprechen.«
Ein Sturm der Entrüstung von allen, mit Ausnahme von Cyrus – und William, der es nicht wagte, eine Meinung zu irgendeinem Thema beizusteuern –, machte dieser Idee ein Ende. Ich wies Emerson darauf hin, dass wir noch auspacken und einräumen mussten. »Und«, fügte ich mit einem viel sagenden Blick in Richtung meines Sohnes hinzu, »wir haben noch eine Menge Neuigkeiten auszutauschen.«
»Ganz recht«, murmelte Ramses und sprang auf. »Sobald ihr eine schöne, lange Mittagsruhe genossen habt.
Wir kommen zum Tee wieder, wenn’s recht ist.« »Ich schlage vor, Emerson und ich besuchen euch«, wandte ich ein. »Ich sehne mich danach, die gute alte Amelia wiederzusehen.«
Nefrets Miene ließ sich wesentlich leichter deuten als die meines Sohnes, aber sie fasste sich rasch. »Selbstverständlich. Eine gute Idee.«
Ich setzte Emerson so lange zu, bis wir früher aufbrachen, als er eigentlich beabsichtigt hatte, nicht weil ich mir davon erhoffte, meine geliebten Kinder bei etwas zu ertappen, was ich nicht gutgeheißen hätte … Nun ja, ehrlich gesagt war es genau das, was ich mir erhoffte. Dass sie irgendeine private und heimliche Aktivität für den Nachmittag geplant hatten, wurde an ihrem Verhalten deutlich. Dass sie damit rechneten, diese noch vor der Teezeit zu beenden, war genauso offensichtlich.
Wir trafen mindestens eine halbe Stunde zu früh ein, gleichwohl bewiesen die Unschuldsmienen meiner Kinder, dass ich zu spät gekommen war. Was auch immer sie im Schilde geführt hatten, es war vollbracht. Auf Nefrets Einladung hin machte ich einen Inspektionsrundgang – nur um schöne Erinnerungen aufzufrischen, wie ich ihr versicherte –, und dann kehrten wir in den Salon zurück, der in das goldene Licht eines sonnigen Spätnachmittags getaucht war. Ich nahm eine Tasse Tee von Nefret und gab mich meinen Gedanken hin. Wie viele glückliche Stunden hatte ich mit meinen Lieben in diesem Raum verbracht, vertieft in angenehme Gespräche oder, gelegentlich auch, in gleichermaßen anregende Auseinandersetzungen mit Emerson. Einmal abgesehen von den neuen Gardinen und
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