Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
saßen und losfuhren, kramte sie ihre Liste hervor und Emerson herrschte sie an: »Hast du noch etwas übersehen, Amelia? ›Sethos auf den Pfad der Tugend zurückbringen‹ beispielsweise? Wie ich sehe, hast du deinen Schirm dabei, aber …«
»Pssst.« Sie deutete auf den Bootsmann. »Überlass es einfach mir, Emerson.«
»Verflucht«, zischte Emerson. »Ramses, ich nehme an, du weißt, wie er aussieht. Im Augenblick, meine ich.«
»Er trug Ramses’ Sachen«, warf Nefret ein. »Das graubraune Tweedjackett, das er letzten Sommer in London gekauft hat. Ramses verpasste ihm noch einen Schnurrbart und einen Sonnenbrand. Dafür hat er uns den Namen verraten, unter dem er sich im Hotel anmelden will.« Sie legte ihre Hand auf Emersons geballte Faust. »Vater, versprich mir, dass du ihn nicht anbrüllen wirst. Und Mutter, bitte sei nicht unhöflich gegenüber Margaret, ja?«
Beide sahen sie in einer Mischung von Entsetzen und Erstaunen an. »Ich bin nie unhöflich«, sagte seine Mutter steif. »Ich brülle nie!«, brüllte sein Vater.
Endlich einmal verharrte Emerson nicht vor dem Hoteleingang, um mit den Dragomanen, Bettlern und Händlern zu scherzen. Er marschierte geradewegs zur Rezeption, wo ihn der Direktionsassistent überschwänglich begrüßte. »Willkommen in Luxor, Professor und Mrs Emerson. Wir haben von Ihrer Ankunft gehört und gehofft, dass Sie uns mit Ihrem Besuch beehren. Möchten Sie hier zu Mittag speisen? Ich werde einen Tisch für Sie vorbereiten lassen.«
»Ja, sehr gut«, erwiderte Emerson. »Sie haben einen Gast, der gestern eingetroffen ist, ein Mr … äh …«
»Der Ehrenwerte Edmund Whitbread«, warf Ramses ein.
»Oh, der Ehrenwerte, natürlich«, murmelte Emerson. »Wie lautet seine Zimmernummer?«
»Der Herr hat uns heute Morgen verlassen. Er war auf der Durchreise nach Assuan, glaube ich. Ach du meine Güte! Es tut mir aufrichtig Leid, Professor, Sie wirken ein wenig … äh … überrascht. Rechnete er mit Ihrem Besuch?«
»Offensichtlich«, meinte Emerson gepresst.
»Er sagte, er wäre in wenigen Tagen zurück, und bat uns darum, sein Zimmer weiterhin für ihn zu reservieren …«
»Schlüssel.« Emerson streckte seine Hand aus.
Das war strikt gegen die Regeln, dennoch zögerte der Bursche nicht eine Sekunde, sondern holte den Schlüssel hervor. Wie macht er das bloß?, überlegte Ramses neiderfüllt. Er droht nicht, er hebt nicht einmal die Stimme.
In unheilvollem Schweigen ging Emerson ihnen zum Aufzug voraus. Seine Frau war die Erste, die den Mut hatte, es zu brechen. »Pech gehabt«, murmelte sie. »Dich trifft keine Schuld, Ramses.«
Zu seiner Verblüffung stellte Ramses fest, dass er keineswegs die Absicht hatte, sich zu entschuldigen. Vielleicht war es kein kluger Schachzug gewesen, Sethos entkommen zu lassen, aber das war ihm egal. »Die Nachricht von eurem Eintreffen hat ihn in die Flucht geschlagen«, sagte er stattdessen. »Was erwartest du in seinem Zimmer zu finden, Vater? Meinst du, er hat den Anstand besessen, meinen besten Anzug zurückzulassen oder uns ein Entschuldigungsschreiben zu hinterlegen?«
»Man kann nie wissen«, sagte sein Vater mit einem diabolischen Grinsen. »Wir werden später nachsehen. Als Erstes werden wir die Dame abholen – immer vorausgesetzt, sie ist nicht allein zum Mittagessen hinuntergegangen. Ich habe Hunger.«
Ramses klopfte und nannte seinen Namen, doch Margaret öffnete die Tür erst, als Nefret mit ihr gesprochen hatte. Der Raum war ein einziges Durcheinander – das Bett nicht gemacht, die Möbel verschoben – und Margaret schien gleichermaßen ramponiert. Ihre Kleidung sah aus, als hätte sie darin geschlafen.
»Dem Himmel sei Dank!«, rief sie und klammerte sich an Emersons Arm wie eine Ertrinkende, die einen rettenden Anker gefunden hat. »Seit gestern Nachmittag habe ich dieses Zimmer nicht mehr verlassen. Ich habe es nicht einmal gewagt, dem Kellner die Tür zu öffnen, und ich war mir auch nicht sicher, ob die Einladung von Ihnen stammte und … ich bin am Verhungern!«
»Aber, aber«, murmelte Emerson und spähte unbehaglich zu seiner Frau, die daraufhin bemerkte: »Für Hysterie gibt es keine Entschuldigung, Miss Minton. Wir werden uns umgehend zu Tisch begeben. Aber zuerst frisieren Sie Ihr Haar und setzen Ihren Hut auf.«
»Selbstverständlich. Es wäre unschicklich, sich ohne Hut in der Öffentlichkeit zu zeigen, nicht wahr?« Sie presste ihre Hände auf ihre geröteten Wangen. »Verzeihung. Ich fühle mich
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