Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Begleitung zweier junger Ägypter auftauchten, hatte ich keinerlei Schwierigkeit, diese als Jumana und ihren Bruder zu identifizieren.
Daouds Beschreibung war dem Mädchen nicht gerecht geworden. Bemerkenswert war nicht nur ihr hübsches Gesicht, sondern die Lebendigkeit, die sich in ihren Zügen spiegelte. Ihr Bruder sah ihr sehr ähnlich, aber an jenem Morgen wurde sein anziehendes Gesicht von einem Bluterguss entstellt, sodass eines seiner Augen fast gänzlich zugeschwollen war.
Sobald wir aufbrachen, gesellte Jumana sich zu Emerson, worauf ich mich Bertie anschloss, dessen Versuche, neben ihr herzureiten, sie schlichtweg ignorierte. Den Blick auf die zierliche Gestalt des Mädchens fixert, das so heftig gestikulierte, dass es Gefahr lief, vom Pferd zu stürzen, reagierte er nicht einmal auf meine beiläufige, wenn auch überflüssige Bemerkung, dass heute ein schöner Tag sei. Sacht stubste ich ihn mit meinem Sonnenschirm an.
»Verzeihung?« Er schrak zusammen.
»Nun?« Nefret war zu uns gestoßen. »Was hältst du von ihr?«
»Ich hatte noch keine Zeit, mir ein Urteil zu bilden«, erwiderte ich. »Wenn ihre Intelligenz so ausgeprägt ist wie ihre … äh … Begeisterungsfähigkeit …«
»Mehr noch, sie ist ein gerissenes kleines Frauenzimmer.« Nefret lächelte. »Du siehst, wie sie sich an Vater heranmacht. Bevor ihr kamt, war Ramses ihr bevorzugtes Opfer.«
»Aber … aber nein«, entfuhr es Bertie. »Sie ist kein … nein, so ist sie nicht. Ganz bestimmt nicht.«
»Ihr Interesse ist rein beruflicher Natur«, erklärte Nefret. »Sie ist eine Muslimin; sie geht davon aus, dass die männlichen Familienmitglieder die Entscheidungen treffen, und sie ist wild entschlossen, Ägyptologin zu werden.«
Berties verstörte Miene hellte sich auf. »Genau wie ich.« Er richtete sich auf, straffte seine Schultern und gab sich überaus interessiert. »Cyrus erwähnte, dass wir nach Deir el-Bahari reiten. Dort ist das Grab von Königin Hatschepsut, nicht wahr?«
»Sehr gut«, lobte ich und setzte zu einem kurzen Vortrag über das Leben jener faszinierenden Frau an, nachdem wir abgesessen hatten, weil das Gelände allmählich zu unwegsam wurde. Nefret, die das alles natürlich schon wusste, gesellte sich zu demjenigen, neben dem sie die ganze Zeit hatte reiten wollen – zu Ramses.
Der Totentempel der Königin gehörte zu den beliebtesten und bemerkenswertesten Anlagen am Westufer. Als wir näher kamen, erklärte ich Bertie die Architektur und versuchte, ein Bild zu entwerfen, wie er zu Lebzeiten Hatschepsuts ausgesehen haben musste, mit blühenden Bäumen entlang des Prozessionsweges und gewaltigen Statuen, die die Säulenterrassen schmückten. Er lauschte aufmerksam und hatte bereits einige intelligente Fragen gestellt, als Emerson uns unterbrach.
»Lassen Sie sich nicht zu viel auf einmal erzählen«, riet er. »Sie wird sie mit Fakten überhäufen, wenn Sie es dulden.«
Bertie beteuerte, dass er jedes Wort genossen habe, aber Emerson war offenbar erpicht auf ein vertrauliches Gespräch mit mir. Er schlug vor, dass Bertie sich zu Jumana gesellen sollte, was jedem gelegen kam, mit Ausnahme vielleicht von Jumana.
»›Das Grab finden‹«, zischte Emerson leise. »Eine wirklich anspruchsvolle Aufgabe, was? – selbst für dich.« Mit einer ausholenden Geste deutete er auf die Klippen, die Hatschepsuts Tempel und die Ruinen des nächsten umgaben. Selbst in diesem eingegrenzten Gebiet hätten sich Hunderte von möglichen Verstecken befinden können. Allerdings traf eines unserer Kriterien darauf zu. Es war gewiss öffentlich genug. Es waren beileibe nicht so viele Touristen dort wie in den vergangenen Jahren, aber sie verteilten sich überall, in Gruppen und paarweise. (Ein Teil des Paares ist in jedem Fall ein Dragomane oder ein Führer. Es bedurfte schon höherer Gewalt, wenn man allein bleiben wollte.)
»Na ja, wir können lediglich unser Bestes tun«, entgegnete ich. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das Leben …«
»Noch ein weiterer Aphorismus – vor allem einer, der mit ›Leben‹ beginnt – und ich lasse mich scheiden, Peabody«, knurrte Emerson. Dabei grinste er. »Die Erforschung wird nicht einfach werden, mit diesem Begleittross. Zum Teufel, was suchen wir eigentlich? Einen Wegweiser mit der Aufschrift ›ZU DEM VERSCHOLLENEN GRAB‹?«
Ich lasse Emerson seine leichten Anflüge von Sarkasmus, die ihm die Illusion vermitteln, dass er einen Witz gemacht hat. Süffisant grinsend erwiderte ich:
Weitere Kostenlose Bücher