Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
gewesen; das Bett war gemacht, frische Handtücher lagen auf dem Waschtisch. Der Kleiderschrank war leer. Der einzige Hinweis auf einen – vergangenen oder zukünftigen – Bewohner war ein Buch auf dem Nachttisch, ein bekannter Reiseführer zu den Artefakten in Oberägypten. Als Ramses ihn aufhob, flatterte ein Umschlag zwischen den Seiten hervor. Er war in großen, schwarzen Lettern an Professor Radcliffe Emerson gerichtet.
Emerson las den beigefügten Brief und reichte ihn an Ramses weiter. »›Schade, dass wir uns verpasst haben. Ich muss mich um meine Geschäfte kümmern. Ich bitte dich, sei so gut und richte den Damen aus deiner Familie Grüße aus und auch Miss Minton, die Luxor meines Erachtens umgehend verlassen will. Beste Grüße …‹ Er hat mit ›Whitbread‹ unterschrieben.«
Die unnatürliche Ruhe seines Vaters ließ Böses ahnen für jemanden – vermutlich für Sethos. »Den Damen aus deiner Familie«, wiederholte sein Vater mit derselben unbeteiligten Stimme. »Wie nett von ihm, Nefret einzubeziehen.«
»Das ist es tatsächlich, wenn man bedenkt, wie sie ihm zugesetzt hat. Vater, er musste vorsichtig sein mit dem, was er zu Papier gebracht hat. Die Chance, dass jemand anders als wir die Notiz finden würde, war zwar gering, aber er geht kein Risiko ein, sei es auch noch so marginal.«
»Was mich am meisten ärgert«, versetzte Emerson, »ist sein Talent, unsere taktischen Schritte zu erahnen. Er hätte den Brief an der Rezeption hinterlegen können. Woher wusste er, dass ich sein Zimmer durchsuchen würde?«
»Jeder, der deine Gewohnheiten kennt, wäre darauf gekommen, Sir.«
»Oh? Hmhm. Es war gewiss die sicherste Kommunikationsmethode mit uns. Das ist ein ziemlich deutlicher Hinweis in puncto Miss Minton. Schön, schön. Wir sollten uns zu den Damen gesellen und seine Grüße ausrichten. Nimm das Buch mit.«
»Ja, Sir. Das hatte ich ohnehin vor.«
Sie spähten in Margarets Zimmer, wo die drei Frauen und zwei Safragis bereits den größten Teil gepackt hatten. »Wir treffen uns in der Hotelhalle!«, rief Emerson und zog sich hastig zurück, da seine Frau ihn fragend maß.
»Du wirst ihr davon berichten, oder?«, fragte Ramses, der sich beeilen musste, um mit seinem Vater Schritt zu halten. Emerson betätigte die Klingel für den Aufzug, wartete zwei Sekunden und stürmte dann die Treppe hinunter.
»Ja, sicher. Es ist reine Zeitverschwendung, deiner Mutter irgendetwas vorenthalten zu wollen, sie findet es ohnehin heraus, und dann ist sie … Äh … was ich noch fragen wollte … es geht mich zwar nichts an … aber du und Nefret … Äh-hm?«
»Bei uns verhält es sich nicht anders.« Ramses grinste.
»Aha. Und ihr beiden … äh … kommt gut miteinander zurecht, nicht wahr?«
»Ja, Sir.« Er konnte es nicht dabei belassen; er wusste, was sein Vater hören wollte, auch wenn er es nicht vermochte, ihn rundheraus danach zu fragen. »Wir sind ausgesprochen glücklich.«
»Aha.« Emersons Hand ruhte kurz auf seiner Schulter. »Gut. Wir wollen sehen, ob wir diesen Halunken Sayid zu fassen kriegen.«
Er strebte durch die Hotelhalle und stockte nur kurz, um den Schlüssel mit dem massiven Messinganhänger auf den Tresen zu werfen. »Beeil dich, bevor Mutter uns in die Quere kommt.«
»Ich wollte schon viel eher mit Sayid reden«, räumte Ramses ein. »Aber gestern war er nicht hier.«
Die übliche Ansammlung von selbst ernannten Führern und diensteifrigen Dragomanen lungerte am Fuß der Treppe herum – das Betreten des Hotels war ihnen strikt untersagt. Sobald die Türen aufgingen, schossen sie nach vorn und stockten mitten in ihrem Gerangel, als sie Emerson und Ramses gewahrten.
»Und heute auch nicht«, murmelte Emerson nach einem Blick über die Menge. »Salam alaikum, Mahmud – Ali – Abdul Hadi. Wo ist Sayid?«
Ein eifriger Chor antwortete, nicht nur die von ihm Angesprochenen, sondern die gesamte Gruppe. »Er ist nicht hier, Vater der Flüche – ich kann dir genauso dienen – was ist es, was der Vater der Flüche wünscht?«
»Sayid.« Emerson stieg die Stufen hinunter. »Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?«
Sie brauchten eine Weile, um sich auszutauschen, und Ramses beschlich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, noch ehe sie sich einig waren. Man hatte Sayid seit mindestens drei Tagen nicht mehr gesehen.
»Er ist ermordet worden«, bemerkte ich und zog eine etwas wacklige Linie – aufgrund der schlingernden Bewegungen des Bootes – durch einen Punkt
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