Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
meiner Liste.
Diesmal leugnete selbst Emerson nicht ab, was manch einer für einen voreiligen Schluss gehalten hätte. Miss Minton war blass geworden. Der Einzige, dessen Miene keine Regung zeigte, war Ramses. Sein maskenhaft starres Gesicht vermochte weder mich noch Nefret zu täuschen, aber schließlich war es Emerson, der das äußerte, was mir auf der Zunge lag.
»Du hättest ihn nicht rechtzeitig erreicht, Ramses, selbst wenn du nicht so eingespannt gewesen wärest. Er muss in der Nacht getötet worden sein, als die Verfolgungsjagd fehlschlug.«
»Aber Sie haben ihn ja nicht einmal gesucht«, entfuhr es Miss Minton. »Vielleicht ist er mit einer Touristengruppe unterwegs.«
Jeder Zoll ein Gentleman, klärte Emerson sie auf. »Sayid steht immer vor dem Winter Palace. Wenn ihn ein Besucher angeheuert hätte, wüssten seine Mitstreiter davon.«
»Dann wüssten sie auch, ob er tot ist«, beharrte Miss Minton.
»Seine Leiche wird man vermutlich nie finden«, erwiderte Ramses. »Wenn ich die Sache arrangiert hätte, hätte ich ihn, tot oder lebendig, auf den Gebel geschleift und in einen der entlegeneren Wadis gestoßen. Wenn man ihn findet – sofern das je der Fall ist –, wird kaum noch etwas übrig sein, um ihn zu identifizieren.«
Ich entschied, dass es Zeit wurde für einen Themawechsel. Es tat mir Leid um den bedauernswerten Sayid, der lästig, aber harmlos gewesen war, gleichwohl konnten wir nichts mehr für ihn tun.
Emerson fischte den Brief aus seiner Jackentasche und las ihn laut vor. Es war ein überaus uninformatives Dokument, darin waren wir uns alle einig. Der Hinweis auf Miss Minton schien besagter Dame nicht sonderlich zu behagen, dennoch warf sie lediglich ein: »Was ist mit dem Buch? Sind Wörter unterstrichen oder irgendwelche Grabungsstätten markiert?«
»Sie können es gern durchsehen.« Ramses reichte ihr das fragliche Buch. »Ich bezweifle jedoch, dass Sethos etwas so Triviales tun würde.«
Cyrus’ Kutsche erwartete uns bereits auf dem Dock. Als sie das Gefährt bemerkte, zuckte Miss Minton zusammen.
»Ich möchte Mr und Mrs Vandergelt nicht zur Last fallen.«
»Ziehen Sie die Rückkehr ins Hotel vor?«
Mein Ton war eine Spur zu scharf. Statt mich indes anzufahren, senkte sie den Blick und murmelte: »Ich wünschte, Sie würden mich nicht so tief ablehnen, Mrs Emerson. Was kann ich denn noch tun, um Ihr Verständnis zu finden, wenn nicht sogar Ihr Wohlwollen?«
»Das Vernünftigste wäre, wenn Sie Luxor umgehend verlassen würden.«
»Das kann ich nicht!«
»Sie können, aber vermutlich wollen sie nicht. Eine Journalistin auf der Jagd nach einer Sensationsgeschichte …«
»Tun Sie mir den Gefallen und glauben Sie mir, dass das nicht mein vorrangiges Motiv ist. Ich möchte – ich möchte helfen.«
»Nein, Sie wollen unseren gemeinsamen Bekannten finden, der sich wieder einmal in Luft aufgelöst hat. Konnte Ihre letzte Begegnung mit ihm Ihre romantischen Fantasien immer noch nicht zerstören?«
Eine tiefe Röte flog über ihre Wangen. »Sie sind eine gnadenlose Gegnerin, Mrs Emerson. Ich möchte wissen, was mit ihm geschehen ist. Ist das so ungewöhnlich? Ob es ihm gefällt oder nicht, aber wir haben eine entsetzliche Erfahrung geteilt.« Sie zögerte kurz, dann platzte sie heraus: »Mag sein, dass ich – ohne es zu wissen – der Auslöser des Anschlags war, aber ich war auch seine Rettung, und bei Gott, bevor ich mit ihm fertig bin, wird er es zugeben und mir danken!«
Ich sagte nichts mehr, da die Männer ihr Gepäck inzwischen in der Kutsche verladen hatten und Emerson uns zur Eile drängte, gleichwohl hatte ihr Gefühlsausbruch, der zweifellos aufrichtiger Natur gewesen war, zur Folge, dass ich positiver von ihr dachte. Eine Frau, die sich die Unverschämtheiten gefallen ließ, mit denen er sie traktiert hatte, hätte ich nicht akzeptieren können. Im Grunde genommen besaß sie eine Reihe von bewundernswerten Eigenschaften. Wenn sie doch nur keine verfluchte Journalistin gewesen wäre!
Nefret und Ramses lehnten Emersons Vorschlag ab, sie zur Amelia zu bringen. Die Kutsche wäre mit fünf Personen unangenehm beengt gewesen, darüber hinaus sagte mir meine lebhafte Fantasie, dass die beiden allein sein wollten. Als sie davonschlenderten, sah ich, wie er seinen Arm um ihre Taille legte und wie ihr Kopf an seine Schulter sank. Miss Minton beobachtete die beiden ebenfalls. Sie seufzte.
Statt einladend offen zu stehen, wie es für gewöhnlich der Fall war, wenn die
Weitere Kostenlose Bücher