Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
umzogen, schnaubte er: »Verdammt! Wir haben völlig vergessen, uns im Hotel nach diesem Burschen … äh … diesem Smith zu erkundigen.«
»Das hättest du gar nicht vermocht, da du dich nicht an seinen richtigen Namen erinnern kannst«, wandte ich ein.
»Und, wessen Schuld ist das? Du warst diejenige, die ihn ständig als Smith bezeichnet hat. Hast du dich nach ihm erkundigt?«
Ich sah keine Veranlassung zu dem Eingeständnis, dass auch mir dieser lächerliche Name entfallen war. »Das hätte ich kaum gekonnt, Emerson, da Miss Minton bei mir war. Wir möchten doch nicht, dass sie von unserem Interesse an dem Burschen erfährt. Aber ich werde mich schleunigst umhören.«
Ich beabsichtigte, auch hinsichtlich einer anderen Person Nachforschungen anzustellen. Inzwischen hatte ich Zeit gefunden, über meinen ersten Impuls nachzudenken, und ich entschied, meinen Verdacht für mich zu behalten, bis ich Beweise hatte. Emerson besaß keine Selbstbeherrschung. Wir mussten uns unserem Widersacher vorsichtig nähern, wie ein Jäger einem wilden Tier. Und ich war zweifellos die Richtige, um das zu tun.
16. Kapitel
Er erwartete mich bereits auf dem Felsplateau, das ich mit der Leichtigkeit erkletterte, die sich nur in Träumen findet. Ich fasste die mir gereichte Hand und er zog mich neben sich.
»Ich bin gekommen«, sagte ich.
»Du hast dir viel Zeit gelassen«, sagte Abdullah. Ich setzte mich auf den felsigen Boden und schlang meine Arme um meine angewinkelten Knie. Die Morgenluft war erfrischend, wie ein Schwall kaltes Wasser auf der Haut, aber auch ein wenig unangenehm, da ich keine Jacke trug. »Ich hatte Schwierigkeiten, Emerson zu überzeugen«, erklärte ich. »Du weißt, wie starrköpfig er ist.«
»Nein, das ist nicht der Grund.«
Groß und stattlich, mit schwarzem Bart und erlesener Kleidung, wie stets in diesen Traumbildern, baute er sich vor mir auf. Er hatte seinen Mund mit einer Hand bedeckt, um ein Lächeln zu verbergen.
»Nein«, gestand ich, sein Lächeln erwidernd. »Ich war auf der falschen Spur, nicht wahr?«
»Ja. Wärst du früher gekommen, hättest du dir und deinen Lieben Ungemach und Gefahren ersparen können.«
»Verschon mich mit deinen rätselhaften Andeutungen, Abdullah!«, entfuhr es mir.
»Ungemach und Gefahren sind deine ständigen Begleiter, Sitt. Es hätte keinen Sinn, dich vorzuwarnen, selbst wenn es mir gestattet wäre; du würdest eine Gefahr umgehen und dich geradewegs in die nächste begeben.«
»Hmmm«, murmelte ich. »Was ist mit dem Grab? Du musst doch wissen, wo es ist.«
»Das Grab? Welches Grab? Ich kenne sie alle – drei weitere im Biban el-Moluk, sechs im Tal der Königinnen, siebzehn …«
»Drei im Tal der Könige?«
»Zwei von bislang nie gekannter Pracht«, murmelte Abdullah versonnen. Er setzte sich neben mich. »Aber sie sind nicht das, was du jetzt suchst.«
»Ganz egal!«, entfuhr es mir. »Zwei prachtvolle Gräber im Tal der Könige! Wo?«
Diesmal versuchte er erst gar nicht, sein Lächeln zu verbergen. »Sie werden zu gegebener Zeit entdeckt werden, von denen, die bestimmt sind, sie zu finden. Weißt du, warum ich dich nach Luxor gebeten habe?«
»Offensichtlich nicht, um mir zu helfen, verschollene Gräber aufzuspüren«, seufzte ich. »Warum dann?«
»Weil dies deine Stätte ist. Schau dich um.« Er machte eine pathetische Geste.
Wie ein funkelnder Strahlenkranz erhob sich die Sonne hinter den östlichen Klippen. Das Tal lag im Schatten, von den diffusen Konturen der thebanischen Tempel auf der anderen Seite des Flusses bis hin zu den bleichen Säulen von Hatschepsuts Tempelanlage, direkt unter uns. Ganz allmählich nahm sie die Form eines glühenden Balles an, warf ihr Licht auf das Wasser, erhellte das satte Grün auf den Feldern, verwandelte den silbrigen Sand in blasses Gold. Nach der bleiernen Schwere der Dunkelheit war die Welt zu neuem Leben erwacht.
»Wie schön ist euer Sonnenaufgang«, murmelte ich. »Der lebendige Aton, der …«
»Der Gott Amun-Re«, korrigierte Abdullah ein wenig schnippisch. »Dein Aton war ein kurzlebiger Gott, geschaffen von einem Ketzer.«
Ich hatte immer angenommen, dass Abdullah im Grunde seines Herzens ein Heide war. Da ich kein Interesse an einer Diskussion über religiöse Strömungen hatte, noch dazu mit einem Mann, der vermutlich mehr darüber wusste als ich, sagte ich sanft: »Beide waren Sonnengötter. Vertreter derselben göttlichen Kraft.«
»Pah«, schnaubte Abdullah. »Amun-Re war die oberste
Weitere Kostenlose Bücher