Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
»Dann ist er also tot. Sie würden mich doch nicht anlügen, oder, Sir?«
Ich hoffte, dass uns Miss Minton in Zukunft erspart bleiben würde, war mir aber keineswegs sicher, da ich mir die Freiheit herausgenommen hatte, ihr Manuskript auszuleihen. Um jede weitere Kommunikation im Keim zu ersticken, übertrug ich die Seiten noch am selben Abend und schickte sie am nächsten Morgen per Kurier zurück, mit einer kleinen Notiz, in der ich höflich, aber entschieden erklärte, dass ich ihr alles Wissenswerte erzählt habe und keine Veranlassung für eine weitere Kontaktaufnahme sähe. Dennoch war ich erstaunt, als keine Reaktion erfolgte. Vielleicht bereute sie ihre Entscheidung, mich ins Vertrauen gezogen zu haben. Schließlich handelte es sich um ein sehr aufschlussreiches Dokument.
Mit Miss Minton im Nacken war ich umso entschlossener, die Kinder aus Kairo fortzuschaffen. Es gab keinen Grund, warum sie nicht umgehend abreisen sollten; die Amelia stand bereit, und nachdem Ramses die zunehmend deutlicheren Hinweise seines Vaters lange Zeit hartnäckig ignoriert hatte, kündigte er schließlich ihren Aufbruch an. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, von Asad zu hören, der mit Leichtigkeit Kontakt zu ihm hätte aufnehmen können, sofern ihm daran gelegen gewesen wäre. Wir schlossen daraus, dass er die Stadt mit unbekanntem Ziel verlassen hatte.
Gleichwohl war Nefret der entscheidende Faktor gewesen. Irgendwann hatten wir miteinander geplaudert, während wir Blumen für den Salon arrangierten. Die Rosen waren besonders schön in jenem Jahr.
»Hat Vater zugestimmt?«, erkundigte sie sich.
»Emerson hat den Plan selber vorgeschlagen«, versicherte ich ihr. »Nicht dass ich irgendeinen Anlass zur Besorgnis sehe. Emerson ist nur beunruhigt wegen der Gräber in Luxor. Es macht dir doch nichts aus, dem Krankenhaus für eine Weile den Rücken zu kehren?«
Für Augenblicke schwieg sie, offenbar konzentriert auf die vollkommene Schönheit der dunkelroten Rose in ihrer Hand. Dann murmelte sie: »Du weißt, dass es eine Art Buße war, als ich damals in die Schweiz ging, um meine medizinische Ausbildung abzuschließen.«
»Mein liebes Mädchen, wir hatten doch ausgemacht, nie wieder über diese unglückselige Zeit zu reden.«
Unbeirrt fuhr sie fort. »Das Krankenhaus brauchte dringend eine Chirurgin. Daran hat sich nichts geändert. Tante Amelia … Mutter …« Sie legte die Rosenschere aus der Hand und sah mich an. »Ist es falsch, einen Menschen so sehr zu mögen, dass nichts und niemand sonst für einen zählt?«
»Ich kann dir nicht sagen, ob es richtig oder falsch ist, mein Schatz, aber ich verstehe dich.«
»Vor unserer Heirat glaubte ich, ihn zu lieben, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was ich heute empfinde. Du weißt, wie viel mir das Krankenhaus bedeutet. Ich würde es ohne Reue für immer verlassen, wenn ich ihn damit in Sicherheit wüsste.«
»Aber, mein Kind, zu einer solch theatralischen Geste besteht absolut kein Anlass«, beschwichtigte ich sie, denn ich hielt es für ratsam, ihre übersteigerten Emotionen zu mäßigen. »Ramses würde nicht wollen, dass du deine berufliche Laufbahn für ihn aufgibst; in der Tat wäre er ausgesprochen erbost, wenn du mit diesem Gedanken spieltest. Also, einverstanden? Du kannst ihn überzeugen?«
»O ja.« Ihre angespannten Züge verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Ich kann ihn überzeugen.«
Daran hatte ich auch nie gezweifelt. Dass ihr kleinster Wunsch ihm Befehl war, traf gewiss nicht zu – und das war auch gut so, denn ein Mann, der seiner Frau stets nachgibt, ist es nicht wert; im umgekehrten Fall gilt dasselbe –, aber man musste die beiden nur zusammen sehen um zu wissen, wie tief sie einander verbunden waren. Das einzige Problem war und blieb Sennia. Allerdings kehrte sie an jenem Nachmittag recht zufrieden von der Schule heim und erzählte uns von ihren Freunden Mark und Elizabeth.
»Siehst du nun?«, bemerkte ich. »Ich habe dir ja gesagt, dass du schon bald höfliche und wohlerzogene Freunde finden wirst.«
Sennia hatte sich lange Zeit bemüht, ihre Brauen so hochzuziehen wie Ramses. Seine waren sehr dicht und dunkel und bildeten je nach Gemütslage ausdrucksvolle Formationen auf seiner Stirn. Bislang bestand Sennias beste Darbietung darin, ihre Augen aufzureißen und die Stirn kraus zu ziehen – ohne erkennbare Auswirkungen auf ihre Brauen. So auch jetzt.
»Es liegt mir fern, dir zu widersprechen, Tante Amelia«, meinte sie gedehnt und
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