Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
deine Argumente sind überzeugend, aber es gibt Hunderte solcher Stellen in den Felsen.
Wo sollten wir mit unserer Suche anfangen? Ich werde zurückgehen und mit Yusuf reden. Es besteht die winzige Chance –«
»Warte – warte!« Jumana hüpfte auf Zehenspitzen, ihr Gesicht vor Aufregung gerötet. »Jetzt entsinne ich mich –
es war, als Jamil und ich uns heimlich in Luxor getroffen haben. Er erzählte von dem Grab der Prinzessinnen und dass man ihn betrogen hat, und dann rückte er damit heraus, dass er zwei riesige Schätze entdeckt hat, ihm aber nichts davon geblieben ist, weil alle anderen ihn um seinen rechtmäßigen Fund gebracht hätten und –« Sie stockte, holte tief Luft. Ramses wollte ihre dramatische, ausschweifende Schilderung schon unterbrechen, als Nefret sanft einwandte: »Lass sie es auf ihre Weise erzählen.«
»Ich versuche mich genau zu erinnern, was er gesagt hat«, erklärte Jumana. Ramses’ Ungeduld war auch ihr nicht entgangen. »Das war sein exakter Wortlaut: ›Sie haben ihn genommen, diese Engländer, aber ich habe ihn zurückgeholt; der Platz einer Gottheit ist auch für mich ein gutes Versteck, dort werden sie mich niemals finden, und eines Tages …‹ In diesem Zusammenhang drohte er, dich zu töten, Ramses, und ich vergaß, was er zuvor gesagt hatte, weil es keinen Sinn ergab, und ich war sehr besorgt und –«
»Ah ja.« Daoud nickte. Für ihn war die Sache klar. »Der Schrein von Amun-Re. Das hätte ich mir gleich denken müssen.«
»Sicher, die Grotte würde die von dir genannten Voraussetzungen erfüllen«, räumte Ramses ein, sein Optimismus gedämpft. »Vermutlich kann es nicht schaden, einen Blick zu riskieren.«
»Sollen wir die Pferde holen?«, fragte Nefret.
»Sie sind zu Fuß gegangen«, meinte Ramses. »Vielleicht stoßen wir unterwegs auf irgendeine Spur von ihnen.«
Sie nahmen den direkten Weg in das westliche Gebirge, über Geröllboden und Felsformationen. Bei der Erinnerung an die Schreinkammer, die sie im Jahr zuvor frei geräumt hatten, musste Ramses zugeben, dass sie sich ideal für einen Hinterhalt eignete, immer vorausgesetzt, dass Jamil sie in die Grotte hatte locken können. Und vermutlich war das nicht einmal schwierig gewesen. Sie hatten geglaubt, dass sie Jumana folgten, und falls sie Jamil im Innern der von Menschenhand geschaffenen Höhle vermuteten, hätte Emerson nicht lange gefackelt und sich schnurstracks ins Innere begeben. Und seine Mutter wäre ihm freilich gefolgt. Wenn sie die Stätte verwaist vorgefunden hätten, wären sie zu dem Eingangsstollen zurückgekehrt, der senkrecht angelegt und nicht besonders tief war. Am Boden stehend, würde sich Emersons Kopf kaum einen halben Meter unter der Oberfläche befinden. Das Bild, das Ramses im Geiste vor sich sah, war noch hässlicher als das erste: ein langer, schwerer Knüppel krachte auf den bloßen Schädel seines Vaters.
Ihre ungestüme Eile weckte die Neugier der Leute, denen sie begegneten. Mehrere folgten ihnen, für den Fall, dass etwas Interessantes passierte. Man bombardierte sie mit Fragen. »Ist etwas geschehen? Wo wollt ihr hin?« Ramses antwortete nicht; er wollte sie abschütteln, wie lästige Fliegen. Als sie keine Antwort erhielten, erkundigte sich einer: »Sucht ihr etwa den Vater der Flüche? Er war –«
Der Satz endete mit einem Gurgellaut, da Selim herumschnellte und ihn an der Kehle packte. »Du hast ihn gesehen? Wann? Warum hast du das nicht gesagt?« An dessen Fingern zerrend, keuchte der Unglückliche:
»Du hast nicht danach gefragt, Selim.«
Selim lockerte seinen Griff, und Ramses entschuldigte sich in der üblichen Form. Eine Hand voll Münzen umklammernd und vor Stolz beinahe platzend, weil er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, erklärte ihr Informant, dass er den Vater der Flüche und die Sitt Hakim schon früh am Morgen gesehen habe, als er auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei. Die beiden hätten ägyptische Kleidung getragen, trotzdem, so fügte der Bursche hinzu, sei der Vater der Flüche unverwechselbar. Er sei versucht gewesen, ihnen zu folgen, aber dann wäre er zu spät zur Arbeit gekommen, und außerdem gingen sie ihm zu schnell. Ja, in diese Richtung, nach Deir el-Bahari. Er und einige andere Männer trollten sich, spekulierend und diskutierend. Die Sonne stand tief und die sanfte, ihnen wohl bekannte Senke war in Dämmerschatten gehüllt. Ramses meinte, einen noch dunkleren Schatten zu bemerken, schlank und geschmeidig wie eine Schlange, die
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