Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
Beweis für menschliches Intrigenspiel! Ad hoc entschied ich, sie dafür nicht auch noch zu strafen. Ich setzte mich neben sie auf die Bank und redete ruhig und bestimmt auf sie ein.
»Außer uns weiß keiner davon, Najia, und wir werden die Wahrheit nie enthüllen. Wisch dir die Augen …« Ich gab ihr mein Taschentuch. »Und geh nach Hause. Wir werden den anderen sagen, dass dir nicht gut war.«
»Aber wenn meine Schande bekannt wird …« Sie schwankte. »… kein Mann wird mich je wollen. Mein Vater wird –«
»Er wird gar nichts machen, und auch sonst niemand, es sei denn, du verplapperst dich aus lauter Dummheit.«
Der Kummer lähmte ihren Verstand, der nie besonders scharf gewesen war; ich gab es auf, sie sanft zur Vernunft bringen zu wollen und versuchte es auf die harte Tour. »Verrate niemandem auch nur ein Sterbenswort. Das ist ein Befehl von mir, der Sitt Hakim. Wir werden für dich sorgen – und einen Mann für dich finden, wenn es das ist, was du willst. Du weißt, dass wir unsere Versprechen einhalten.«
»Ja – ja, das ist wahr.« Sie warf sich vor Nefrets Füße.
»Wie kannst du mir je verzeihen? Du warst so nett zu mir, und ich habe dich schändlich hintergangen.«
»Um Himmels willen, hör auf zu heulen«, sagte ich unwirsch. Mein Taschentuch war fleckig, nicht nur von ihren Tränen, sondern von einer bräunlichen Substanz;
das Geburtsmal, inzwischen sauber gerieben, war so ausgeprägt wie immer. »Troll dich und denk daran: Das Wort der Sitt Hakim ist bindender als der Schwur eines Mannes.«
»Heißt es nicht ›das Wort des Vaters der Flüche‹?«, bemerkte Nefret, sobald das Mädchen, weiterhin ihr Gesicht betupfend, davonhuschte. »Allerdings bin ich nicht sicher, wie wir das alles geheim halten sollen. Irgendeiner kommt bestimmt dahinter, dass es meine Kleidung war, die Jamil getragen hat. Sie war ihm sicherlich knapp, aber nicht zu klein wie Jumanas. Besonders die Stiefel. Ich hoffe nur, dass sie ihn entsetzlich gedrückt haben!«
»Womöglich hat er die Zehen herausgeschnitten oder die Fersen aufgeschlitzt«, sagte ich abwesend. »Einige werden einen Teil der Wahrheit erfahren müssen, gleichwohl sollten wir den Ehrverlust des Mädchens verschleiern. Vielleicht müssen wir einen Ehemann für sie kaufen«, versetzte ich verdrossen. »Das scheint alles zu sein, woran sie denken kann.«
»Sie und viele, viele andere Frauen aller Nationalitä ten«, entgegnete Nefret. »Meinst du, sie weiß mehr, als sie uns enthüllt hat?«
»Jamil ist zu gerissen, als dass er nützliche Informationen preisgeben würde. Sogar seine Schwester hat er angelogen. Was mich beunruhigt«, fuhr ich fort, als wir in Richtung Küche zurückschlenderten, »ist, wie viele andere er noch verführt haben mag – psychisch und physisch. Ich fürchte, Nefret, dass der missratene Bengel für einen Riss in seiner Familie gesorgt hat, der sich vielleicht nie wieder kitten lässt.«
Emerson sah das alles optimistischer. Ich erzählte ihm die ganze, betrübliche Geschichte später, als wir allein waren, mir dessen bewusst, dass sein großes Herz sich zugunsten des Mädchens entscheiden werde. Nachdem er Jamil mit bewundernswerter Eloquenz verflucht hatte, beruhigte er sich wieder und sagte: »Damit wären zwei der Helfershelfer des Jungen bekannt. Wie viele kann er denn noch haben?«
»Einige von den jüngeren Männern, vielleicht. Manche würden nichts Verwerfliches in einer kleinen Grabplünderei sehen. Und er scheint bei Frauen anzukommen.«
»Er hat sich ein Opfer ausgesucht, das besonders empfänglich war für Schmeicheleien.« Angewidert verzog Emerson die Lippen. »Igitt! Was die Männer angeht, so hat Jamil nach dem gestrigen Vorfall bestimmt keinen Einfluss mehr auf sie. Keiner der Gurnawis würde es wagen, sich an einem Mordanschlag gegen uns zu beteiligen.«
»Das ist vermutlich richtig«, sinnierte ich.
»Da ist noch ein Punkt, den wir bislang nicht entsprechend berücksichtigt haben«, fuhr Emerson fort. »Er hatte sich dort häuslich eingerichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Bürschchen seine gemütliche kleine Höhle aufgibt – es sei denn, er hätte bereits ein anderes Versteck präpariert.«
»Das ist ebenfalls richtig und hilft uns doch nicht weiter«, versetzte ich.
»Ich dachte, du wärst diejenige, die immer darauf pocht, dass wir die positiven Seiten sehen müssen, Peabody. Wir rücken ihm immer dichter auf den Pelz, und irgendwann wird er einen falschen Zug
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