Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
irgendeiner Unachtsamkeit hinreißen ließ. Ein weiterer Unfall wäre das Letzte, was wir gebrauchen könnten.
Dank Emersons minutiöser Methodik brauchten wir den ganzen Tag, um den Gewölbekeller freizulegen. Nefret und Jumana machten Fotos von den einzelnen Arbeitsstadien, und Ramses entdeckte eine Inschrift, die das exakte Datum für zumindest eine Bestattung lieferte: das siebte Jahr des Imperators Claudius. Für mich gab es nicht viel zu tun, und ich war geneigt, Cyrus auf der Suche nach Gräbern zu unterstützen, da ich aber wusste, dass Emerson dies nicht gern gesehen hätte, blieb ich, brütend und beobachtend.
Nach wie vor beabsichtigte ich, mit Yusuf zu reden. Er hatte sich nach Kräften bemüht, uns aus dem Weg zu gehen, was an sich schon verdächtig war; seine häufigen Besuche in der Moschee stimmten ebenfalls misstrauisch, wenn auch nicht unbedingt aus den von Emerson genannten Erwägungen. Die Wiederholung der täglichen Gebete ist eine der Fünf Säulen des Islam, gleichwohl darf man beten, wo man gerade ist. Jamil würde nicht wagen, sein Elternhaus aufzusuchen. Sie würden sich anderswo treffen müssen …
Ich beschloss, bis zum Abend zu warten und ihn nach dem letzten Gebet aufzusuchen. Wenn Jamil bis jetzt noch nicht in der Nähe des Dorfes aufgetaucht war, dann würde er vermutlich bis zum Einbruch der Dunkelheit ausharren, ehe er seinen Vater kontaktierte.
Erst im späteren Verlauf des Tages weihte ich Emerson in mein Vorhaben ein. Bertie und Cyrus, der noch immer ein bisschen schmollte, hatten den Heimweg angetreten, und Emerson war in dem Kellergewölbe, bei den letzten Mumien. Er wollte nicht hochkommen, doch ich bestand darauf.
Anfänglich reagierte er mit Skepsis. »Deine Theorie steht auf tönernen Füßen, Peabody. Kann sein, dass es vertane Zeit ist.«
»Wenn es uns gelingt zu beweisen, dass Yusuf sich nicht der Komplizenschaft schuldig gemacht hat, ist das keine vertane Zeit«, konterte ich. »Wie war das noch gleich, von wegen ›wir rücken Jamil immer dichter auf den Pelz‹?«
»Pah«, entfuhr es Emerson. Er warf einen verträumten Blick zu seinen Mumien, die Selim soeben auf einen Karren lud. »Sei vorsichtig damit, Selim.«
»Emerson, bitte hör mir zu.«
»Was? Oh. Es kann sicher nicht schaden. Morgen.«
»Heute. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.« Den Blick auf Selim geheftet, versuchte Emerson seinen Arm meinem energischen Griff zu entziehen. »Wenn du nicht mitkommen willst, gehe ich allein«, versetzte ich.
Wie erwartet schoss sein Blick zu mir. Seine Miene verdüsterte sich. »Nein, das wirst du nicht. Was war das mit Eisen? Wieder einer deiner scheußlichen Aphorismen?«
»Ein ausgesprochen passender, mein Lieber. Yusuf muss von Jamils letztem und schwerwiegendstem Verbrechen erfahren haben. Wir müssen mit ihm reden und ihm den Ernst der Lage nahe bringen, bevor der Junge die Gelegenheit bekommt, seine Version zu schildern – also nichts anderes als ein Lügengeflecht, das ein liebender Vater glauben würde.«
»Hmhm.« Emerson befingerte sein Kinngrübchen. »Also gut. Aber erst wenn wir unseren Fund wohlbehalten nach Hause gebracht haben.«
»Selim und Daoud könnten das hervorragend ohne dich bewerkstelligen, und das weißt du auch. Allerdings besteht keine Eile. Es wird frühestens in einer Stunde dunkel.«
Mit ein bisschen Druck meinerseits waren die Karren in Rekordzeit beladen, und wir traten den Weg nach Hause an, wo die Männer unsere Errungenschaften in den Lagerraum transportierten. Die Regale füllten sich mit einer Vielzahl von Artefakten, nichts davon indes so beeindruckend wie die neuen Särge, aber, wie Ramses mir versicherte, von weit größerem Interesse. Emerson betrachtete sie liebevoll.
»Zeit für den Tee, was?«
»Nein, Emerson, wir müssen sofort aufbrechen. Wie ich dir bereits erklärt habe –«
»Du hast es allen erklärt, also wiederhol dich nicht. Lass uns gehen.«
»Sollen wir mitkommen, Mutter?«, erkundigte sich Nefret.
»Ja. Wir werden es mit einer Mischung aus Einschüchterung – Emerson und Ramses – und sanfter Überzeugung versuchen – du und ich und Jumana.«
Emerson schnaubte abfällig – vermutlich bei der Vorstellung, dass ausgerechnet ich mich einer sanften Überzeugungstaktik bedienen könnte. Jumana bedachte mich mit einem skeptischen Blick.
»Aber, Sitt Hakim –«
»Keine Einwände, bitte«, versetzte ich etwas milder. »Gestern hast du uns sehr geholfen. Wenn dein Vater
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