Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
gestorben sei. Aus medizinischer Sicht betrachtet war er dem gleichen Herzleiden erlegen wie Abdullah. Wir ließen Ramses zurück, der bei Jamil Wache hielt, und Emerson trug Yusufs Leichnam zurück in sein Haus. Als wir aufbrachen, drehte ich mich noch einmal um. Abdullahs hübsches Grabmonument zeichnete sich als schemenhafte Silhouette gegen das Mondlicht ab. Im Schatten des Eingangs bewegte sich nichts.
Wir konnten nicht viel tun für die betroffene Familie. Im Gegenteil, die aufgebrachten, uns geltenden Blicke einiger Familienmitglieder bewiesen, dass wir gut daran täten zu verschwinden.
Die ganze grässliche Geschichte hatte viel weniger Zeit beansprucht, als ich dachte – weniger als eine halbe Stunde von Anfang bis Ende –, aber Erklärungen und das Wechseln der Kleidung verzögerten den lang ersehnten Augenblick, da wir uns endlich auf der Veranda niederlassen konnten.
Ramses kam als Letzter. Obwohl seine zusammengepressten Lippen von seinem Schock zeugten, beantwortete er unsere Fragen mit der üblichen Contenance. »Ich habe ihn seinen Cousins überlassen. Sie haben mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht erwünscht sei. Wo ist Sennia?«
»Ich habe sie ins Bett geschickt«, erwiderte ich, unterdessen drückte Emerson seinem Sohn ein Glas Whisky in die Hand.
»Sie hat einen ziemlichen Wirbel veranstaltet, und Horus wollte mich beißen.«
»Jumana?«, lautete Ramses’ nächste Frage.
»Sie ist zusammengebrochen, aber erst, als Fatima sie in ihre mütterliche Umarmung schloss. Vielleicht«, sinnierte ich, »habe ich die Tugend der Selbstbeherrschung doch etwas überbetont.«
»Es ist tragisch«, seufzte Nefret. »Die Familie war früher so stark und stolz und in sich ruhend.«
»Wirklich tragisch«, wandte Ramses ein, »ist die Sache mit Jamil. Wenn er sein einzigartiges Talent auf die Archäologie verwendet hätte, wäre er vielleicht glücklich und erfolgreich geworden. Wie soll man sich das erklären?«
»Fang jetzt keine philosophische Diskussion an«, murrte Emerson. »Ich kann es mir nicht erklären und deine Mutter auch nicht, obwohl sie es sicher versuchen wird, wenn du ihr auch nur eine klitzekleine Chance gibst. Die Familie wird darüber hinwegkommen, und Jumana auch. Die Zeit heilt …« Schlagartig erkennend, dass er beinahe einen Aphorismus verbrochen hätte, fasste er sich und fuhr fort: »Wollte er uns letztendlich anvertrauen, wo sich das Grab befindet, oder hat er uns wieder einmal hochgenommen? ›In der Hand der Gottheit!‹«
Yusufs Bestattung war am nächsten Tag, nach muslimischer Sitte. Natürlich nahmen wir alle teil. Als wir den zweiten, verstümmelten Leichnam sahen, murmelte Emerson: »Sie werden doch wohl nicht die Stirn haben, ihn in Abdullahs Grab zu legen, oder? Gute Güte, der alte Knabe würde den Aufstand proben.«
Das bezweifelte ich keineswegs. Hatte er nicht gesagt: »Überlasst ihn mir«? War es Schicksal? War es ein Unfall gewesen? Ganz gleich, wie heimtückisch der Junge gewesen sein mochte, ich war froh, dass wir ihn nicht getötet hatten.
Selim hatte sich um die Formalitäten gekümmert, wie er uns später berichtete. Vater und Sohn wurden gemeinsam in einer Familiengruft bestattet – einer unterirdischen Kammer, in der sie aufrecht sitzen konnten, um dem Ruf der Todesengel zu harren. Wir nahmen Abschied, bevor die Öffnung verschlossen wurde.
Cyrus war so aufgebracht, dass er in seinem breiten amerikanischen Akzent Jamils letzte Worte herausplatzte: »Es war da, direkt vor unseren Augen? Auf dem Friedhof der Affen? Welche Hand von welcher Gottheit?«
»Man darf den Worten eines Sterbenden nicht allzu viel Bedeutung beimessen«, riet ich ihm. »Schon gar nicht denen eines Mannes, der sein ganzes Leben lang andere zu betrügen suchte.«
Danach nahmen wir unsere Arbeit in Deir el-Medina wieder auf – alle außer Jumana. Das Entsetzen jener Nacht war zu viel für sie gewesen. Sie suchte Zuflucht im Bett, verweigerte die Nahrungsaufnahme und ließ sich auch von mir nicht zur Vernunft bringen. Die Einzige, die ihr Gesellschaft leisten durfte, war Sennia. Sie wusste, dass Jumana Bruder und Vater verloren hatte, auch wenn wir ihr selbstverständlich die schrecklichen Details erspart hatten, und die gute kleine Seele las ihr stundenlang vor oder plauderte mit ihr.
Wenn ich mich recht entsinne, erhielten wir an dem darauf folgenden Dienstag eine Mitteilung von Howard Carter, in der er uns bat, das Abendessen gemeinsam mit ihm im Winter Palace
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