Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
galt Ramses. »Hast du nicht gesagt, dass du in meiner Schuld stehst – dass du mich vor dem Zorn meines Vaters beschützen würdest?«
»Hast du?«, fragte Nefret zuckersüß.
Ramses’ verstörter Blick glitt von dem Mädchen zu Nefret und vice versa. »Ich – ähm – um ehrlich zu sein, ich weiß verflucht nicht mehr, was ich gesagt habe!«
»Du hast es zumindest so gemeint«, beteuerte Esin. »Kein Engländer würde eine Frau dafür büßen lassen, dass sie ihm geholfen hat.«
»Aber du sagtest doch, dass dein Vater dich nicht verdächtigt«, protestierte Ramses.
»Er fing allmählich an, mir zu misstrauen. So hat es Ismail Pascha mir wenigstens gesagt.«
»Aha«, seufzte ich. »Und dann hat er Ihnen seine Hilfe angeboten.«
Sie krauste die Stirn. »Ich denke, so war es. Aber das meiste habe ich ganz allein geschafft. Ich musste mich auf eigene Faust aus dem Haus stehlen. Das war nicht weiter schwierig, da ich alle Geheimgänge und Keller kenne, aber dann musste ich den vereinbarten Treffpunkt finden, das Grabmal eines Heiligen außerhalb der Stadtmauern. Es ist nicht weit, aber ich hatte große Angst, und ich musste lange warten, bis der Teppichhändler mit seinem Karren kam, und dann hielt ihn ein wachhabender Offizier an, und ich hörte sie reden und lachen, und ich fürchtete schon, man würde den Karren durchsuchen. Das taten sie zum Glück nicht. Es war eine lange, holprige Fahrt, und ich konnte kaum atmen, und –«
»Sie waren sehr mutig«, unterbrach ich, denn ich hatte genug gehört. Das Wesentliche war erzählt. Es klang, als habe Ramses hinsichtlich Sethos’ abwegiger Methoden Recht behalten.
Meine Planung hielt uns alle den ganzen Tag auf Trab. Selim verbrachte die meiste Zeit unter dem Automobil, umzingelt von einem faszinierten Publikum, einschließlich der Babys und Ziegen. Gelegentlich tauchte er darunter auf, verschwitzt und ölbeschmiert, um seine Fortschritte kundzutun und sich in der Bewunderung der Menge zu sonnen. Wir hätten das Benzin von einem Hehler beziehen können – es gab einen florierenden Schwarzmarkt für alle Militärartikel –, aber Emerson entschied, dass wir genauso gut die Behörden darum bitten könnten. Es dauerte nur vier Stunden, bis seinem Gesuch stattgegeben wurde. Ganz eindeutig waren sie darauf bedacht, uns loszuwerden.
Gegen Abend liefen unsere Vorbereitungen auf Hochtouren. Ich hatte Stunden damit zugebracht, den Rest des Hauses auszukundschaften. Es war wie viele andere, die ich kannte, und nur deshalb interessanter, weil es mehr Geheimgänge und Verstecke hatte als sonst üblich. Mahmud oder einer seiner Vorfahren schien seiner Regierung, seinen Geschäftspartnern und seinen Ehefrauen wenig vertraut zu haben.
Laut Ramses würden wir wenigstens eine Stunde einkalkulieren müssen, um den von Sethos vorgeschlagenen Treffpunkt zu erreichen. Während wir in dem arabischen Salon ein leichtes Nachtmahl zu uns nahmen, diskutierten wir, wer gehen sollte. Selbstverständlich beabsichtigte ich, mit von der Partie zu sein, und Emerson wollte seinen nervenzermürbenden Bruder natürlich auch konfrontieren. Einer würde bei dem Mädchen bleiben müssen, entschieden wir unisono – Nefret mit einem frustrierten »immer ich« –, doch Selim und Ramses konnten sich nicht einigen, wer von ihnen beiden gehen und wer wiederum bei den jungen Frauen bleiben sollte. Eine halbe Stunde vor unserem Aufbruch – wir diskutierten noch immer – durchbrach ein entsetzliches, lang gezogenes Heulen die nächtliche Stille. Die Maschrabija-Blenden waren nur angelehnt, und ich vernahm die Worte recht deutlich:
»Oh Ungläubige, bereitet euch auf den Tod vor! Oh ihr Ungerechten, wer durch die Finsternis schreitet, wird von Dämonen verfolgt und …« Die Tirade endete mit einem unangebrachten Kreischen.
Gemeinsam stürmten wir zum Fenster und rissen die Blenden auf. Im Mondlicht erspähte ich einige dunkle Gestalten vor dem Portal, und Selim, der sich gegen selbiges stemmte. Nachdem man sie entdeckt hatte, trommelten die Eindringlinge gewaltsam auf das Tor ein.
Ich versuchte, Ramses festzuhalten, aber leider zu spät, denn er war bereits über den Fenstersims geklettert. Er sprang zu Boden und erreichte Selim, als gerade das Tor nachgab. Selims Messer blitzte auf. Ramses hatte im Vorbeilaufen einen Wagenheber oder einen Schraubenschlüssel vor dem Automobil aufgehoben; er schwang seinen Arm, und ein Schrei von einem der Angreifer durchtrennte die Stille.
»Schnell!«, rief
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