Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
um ihn und inspizierten die Zeichnung. Das Sistrum ist ein Musikinstrument, vergleichbar einer Rassel, das vor vielen Gottheiten gespielt wird. Es war Hathor geweiht, der Göttin der Musik, deren Antlitz hier als Frauenkopf mit langen Locken und den charakteristischen Kuhohren dargestellt war. An diesem stilisierten Kopf war eine lange Schlinge aus Kupferdraht befestigt, verflochten mit Holzstäbchen, auf denen Perlen steckten, und wenn man das Sistrum an seinem Griff hielt – dieser hier hatte die Form einer Lotussäule –, erzeugte es ein angenehmes, aber irgendwie monotones Geräusch.
Alle zuvor beschriebenen Details fanden sich auf Emersons Skizze wieder, was darauf schließen ließ, dass dieses Artefakt wirklich ungewöhnlich, unbeschädigt und vollständig erhalten war.
»Konnte das Gesicht nicht richtig wiedergeben«, räumte Emerson ein. »Es ist sehr schön. Offensichtlich aus einer königlichen Manufaktur.«
»Und für eine adlige Dame hergestellt«, versetzte Ramses. »Ich bewundere deine Zurückhaltung, Vater, ich wä re sicher versucht gewesen, es mitzunehmen. Es gehört in ein Museum.«
»Dort wird es auch hinkommen«, stieß Emerson zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir werden die Albions an der langen Leine halten, bis wir die Schlinge zuziehen. Es besteht absolut kein Zweifel; Jamils Grab ist das einer der Gottesgemahlinnen von Amun, und wenn diese kleinen Kunstobjekte repräsentativ sind für den Inhalt, dann weiß der Himmel, was dort noch alles verborgen ist.«
Cyrus stöhnte leise auf. »Meine Seele würde ich für einen solchen Fund verkaufen. Und wenn Joe Albion ihn zuerst aufspürt, werde ich ihn eigenhändig erwürgen.«
Tags darauf verfasste ich ein höfliches Briefchen an Mrs Albion, worin ich ihr für ihre vergnügliche Party dankte. Es klang ein wenig scheinheilig, wie Emerson geflissentlich feststellte, doch in meinen Augen gehörte dies dazu, um die gesellschaftlichen Konventionen zu wahren. Wenn jeder exakt das aussprechen würde, was er oder sie von Dritten hält, dann wäre es vorbei mit der Etikette.
»Einerlei«, versetzte ich, den Umschlag zuklebend, »den Kontakt mit den Albions abzubrechen wäre ein großer Fehler, solange wir nichts gegen sie in der Hand haben.«
Wie gewöhnlich nahmen wir unsere Arbeit auf, brachten aber nicht viel zuwege. Emersons Entdeckung der Artefakte hatte ihm den Mund wässrig gemacht und seine Fantasie beflügelt. Er versuchte sich auf seine augenblickliche Arbeit zu konzentrieren, hörte jedoch immer wieder auf und starrte, leise vor sich hinmurmelnd, ins Leere. Wie gut ich das nachvollziehen konnte! Das verfallene Lehmziegelmauerwerk von Deir el-Medina war so schäbig, verglichen mit den kühnen Träumen von einem prachtvollen Königsgrab.
Jumana kam verspätet zum Frühstück und wirkte ziemlich mitgenommen, mit rot geäderten Augen, worauf Sennia wissen wollte, wo es denn weh täte und wie sie helfen könne. Nefret lenkte das Kind ab, indem sie die Dekoration des Ballsaals beschrieb und das reichhaltige Menü, und die Große Katze des Re sorgte für zusätzliche Ablenkung, indem er mit einer zappelnden Maus im Maul auftauchte. Mit Sennias Unterstützung gelang es Ramses, das Katzengebiss zu öffnen und die Maus zu entfernen, die er nach draußen trug und freiließ, zum größten Missfallen von Horus. Ich hoffte nur, dass die verrückte Katze es sich nicht zur Gewohnheit machen würde, unverletzte, lebende Beute anzuschleppen. Horus hatte jedenfalls immer so viel Anstand besessen, sich ihrer diskret zu entledigen.
Ich beschloss, Jumana nicht länger zurechtzuweisen. Sie war genug gestraft mit unserer Kollektivkritik und Nefrets Standpauke, und überdies hatte sie keinen gravierenden Fehltritt begangen, sondern sich nur in ihrer Beurteilung getäuscht, verständlich für ein junges Mädchen. Nachdem sie in einer Gesellschaft aufgewachsen war, musste sie nun die Sitten und Gebräuche einer anderen kennen lernen; und da sie ausschließlich Männer mit ausgeprägten und unerschütterlichen Moralvorstellungen kannte, überraschte es nicht, wenn sie die abscheulichen Absichten eines Sebastian Albion missinterpretiert hätte.
Klaglos akzeptierte sie die zermürbende Aufgabe des Geröllsiebens und arbeitete zügig den ganzen Morgen. Als wir unsere Mittagsrast einlegten, setzte sie sich etwas abseits, ihr Blick gesenkt, worauf Cyrus in seiner ganzen Gutherzigkeit den Versuch machte, sie aufzuheitern.
»Wie wäre es, wenn du mir
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