Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
aufzutragen.
»Entschuldigt die Störung, Leute«, meinte Cyrus. Er wirkte kein bisschen schuldbewusst. Entseelt – begeistert – glücklich … Die Begriffe sind zu schwach für die Emotionen, die sich auf seinen Zügen spiegelten. So freudestrahlend hatte ich ihn bislang nur am Tag seiner Hochzeit mit Katherine erlebt.
»Was ist denn passiert, Cyrus?« Ich sprang auf.
»Bertie soll euch die freudige Nachricht verkünden«, erwiderte Cyrus. Er quoll über vor Stolz.
Bertie spähte in die Runde. »Wo ist Jumana? Sie müsste doch hier sein.«
»Ach du meine Güte«, seufzte ich. »Ihr … ihr beide habt euch doch nicht etwa verlobt?«
Berties jungenhaftes Lachen erfüllte den Raum. »Noch besser, Mrs Emerson. Wir haben es gefunden, Jumana und ich. Jamils Grab.«
Ein Mordsspektakel schloss sich an. Sogar Gargery, der nicht die geringste Ahnung hatte, was Bertie damit meinte, klatschte in die Hände und fiel in das aufgeregte Brüllen und Beglückwünschen mit ein. Als die anderen sich lautstark debattierend um Bertie versammelten, schlüpfte ich klammheimlich aus dem Zimmer.
Jumana saß auf ihrem Bett, die Hände gefaltet, auf ihrem Gesicht Tränenspuren. Jetzt, bei näherem Hinsehen, stellte ich fest, dass sie wahrlich nicht für ein romantisches Rendezvous gekleidet war. Bluse und Hose waren zerrissen und staubig, ihre Stiefel schmutzverkrustet, die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht.
»Bertie ist hier«, sagte ich.
Sie sprang auf. »Dann ist alles in Ordnung? Er hat es dir erzählt? Ich habe versprochen, ich würde nichts verraten, es war ein Geheimnis, sein Geheimnis. Darf ich jetzt gehen?« Sie lachte verschämt. »Ich hab solchen Hunger!«
Ach ja, der unverwüstliche Elan der Jugend! Von Verzweiflung zu Verzückung mit einem Wimpernschlag! Ich hätte sie direkt gehen lassen können; ich war auch versucht, dies zu tun, doch mein Gewissen nötigte mich zu einer Erklärung.
»Als Erstes muss ich mich entschuldigen«, hub ich an.
»Entschuldigen? Bei mir? Wieso?«
»Weil ich dich falsch eingeschätzt habe. Ich habe mich geirrt, und es war richtig von dir, gegenüber Bertie Wort zu halten. Es tut mir aufrichtig Leid und ich hoffe, dass du mir vergibst.« Ich hielt ihr meine Hand hin. Wenn ich sie stattdessen umarmt hätte, wäre sie vor Verblüffung in Ohnmacht gefallen, und außerdem war sie ganz schön verdreckt.
»Vergeben? Dir?« Fassungslos starrte sie auf meine Hand.
»Ich habe dir Unrecht getan«, betonte ich. »Gib mir die Hand, wenn du magst, und dann geh zu den anderen.«
Sie schüttelte mir nicht die Hand, sondern küsste sie, stürmisch und feucht, dann strahlte sie mich an und rannte aus dem Zimmer.
Ich wäre ihr nicht böse gewesen, wenn sie sich in ihrer Rolle als Heldin gesonnt hätte – eine falsch eingeschätzte, irrtümlich beschuldigte Heldin noch dazu! Stattdessen beharrte sie darauf, dass Bertie sämtliche Anerkennung gebühre. Er und nur er allein hatte lokalisiert, wo das Grab sein müsste.
»Aber wo ist es denn?«, brüllte Emerson, Haare raufend. »Bertie will es uns nicht sagen. Jumana, wo –«
»Wir wollen es euch zeigen«, erklärte Bertie. »Sonst würdet ihr es niemals glauben.«
»Nur zu«, grinste Ramses. »Zeig uns den Weg, Bertie.«
Er führte uns nach Deir el-Medina.
Unsere Männer warteten bereits dort, um mit ihrem Tagwerk zu beginnen. Ramses rief sie zusammen und erklärte ihnen, dass Bertie eine wichtige Ankündigung zu machen habe. Mittlerweile dämmerten auch Emerson die Fakten. »Es kann nicht sein«, murmelte er. »Ich glaub es einfach nicht. Verfluchter Mist!«
»Vater, bitte«, wies Ramses ihn zurecht. »Bertie, du hast das Wort.« Grinsend setzte er hinzu: »Mach das Beste daraus.«
»Nun ja.« Bertie errötete. »Eigentlich war es purer Zufall, müsst ihr wissen. Ich saß tagelang mit hoch gelegtem Fuß herum und konnte nichts weiter tun, als in die Gegend zu gucken. Schließlich kannte ich sie wie meine Westentasche. Seht mal da oben.«
Er zeigte mit dem Finger.
Genau vor uns säumten die Tempelmauern die Öffnung des kleinen Tals mit seinen Feldern und dem Fluss und den Felsen, die sich zu beiden Seiten erhoben. Die Grabruinen der Arbeiter lagen verstreut in der westlichen Ebene. Berties ausgestreckter Arm wies auf den höchsten Punkt, linkerhand des Tempels. In stummer Faszination verharrten wir für eine Weile. Wir alle hielten nach einer Skulptur Ausschau – der Gestalt einer Gottheit, verwittert über die Jahrtausende,
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