Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
ins Krankenhaus. Sie wollte das Hotel nicht verlassen, obschon ich zu bedenken gab, dass Emerson und Ramses vermutlich nicht vor dem Mittagessen zurück sein würden. Schließlich konnte ich sie zu einem Spaziergang in den Ezbekieh-Gärten überreden, mit Sennia und mir. Nach meinem Dafürhalten gibt es nichts Besseres als die Schönheiten der Natur, will man sich von unangenehmen Überlegungen ablenken. In dem Park stehen seltene Bäume und Gehölze, und die Luft ist erfüllt von Vogelgezwitscher. Sennia war eine beinahe noch größere Zerstreuung; zu zweit mussten wir sie im Auge behalten, während sie kreuz und quer über die kiesbestreuten Wege lief. Es tat Nefret gut, glaube ich. Als wir den Rückweg antraten, wir beide hielten Sennia fest an der Hand, sagte sie zerknirscht: »Du denkst, dass ich mich wie ein blöder Angsthase verhalte, oder?«
»Vielleicht ein bisschen. Aber ich verstehe dich. Weißt du, man gewöhnt sich an alles«, fuhr ich fort. »Es gefällt einem zwar nicht, doch irgendwann findet man sich damit ab.«
»Ich weiß, dass ich ihn nicht aus Schwierigkeiten raushalten kann«, seufzte Nefret. »Es ist nur diese spezielle –«
»Kleine Krüge haben große Ohren«, warnte ich.
»Wenn du auf mich anspielst«, sagte Sennia überaus würdevoll, »meine Ohren sind überhaupt nicht groß. Ramses sagt, dass ich schöne Ohren habe. Ist er in Schwierigkeiten?«
Nefret lachte und hob sie hoch. Wir waren im Begriff, die Straße zu überqueren, auf der starker Verkehr herrschte. »Nein, kleine Taube. Und wir werden dafür sorgen, dass er keine bekommt, nicht wahr?«
Wir hatten fast eine Stunde lang gewartet, als sie zurückkehrten. Sennia las uns laut aus einem schmalen Bändchen mit ägyptischen Märchen vor, doch sobald die Tür aufsprang, ließ sie es fallen und stürmte auf sie zu. Sie warf ihre Arme um Ramses’ Taille und fragte besorgt: »Bist du in Schwierigkeiten?«
»Nein, es sei denn, du brichst mir eine Rippe«, seufzte Ramses betont gequält. »Wer hat das gesagt?«
»Lasst uns zum Essen gehen«, warf ich ein.
»Ja, ich sterbe vor Hunger«, verkündete Sennia und verdrehte dramatisch die Augen. »Ich wollte dir nicht wehtun, Ramses.«
Emerson löste sie von Ramses und schwang sie sich auf die Schulter. »Wir wollen runtergehen.«
Ich ließ ihnen den Vortritt. »Nun, Ramses?«, bohrte ich.
»Du solltest das Kind nicht beunruhigen, Mutter.«
»Es war nicht Mutter, sondern ich.« Nefret fasste seinen Arm. »Tut mir Leid.«
»Ist schon in Ordnung.« Er bot mir seinen anderen Arm und erstattete uns auf dem Weg in den Speisesaal Bericht.
»Er wollte lediglich ein beratendes Gespräch. Er ist neu in dieser Funktion, und offenbar hat es niemand für nötig befunden, ihn über gewisse Dinge aufzuklären. Die Militär- und die Zivilverwaltung waren sich noch nie grün. Er hat einiges über unsere Aktivitäten erfahren und wollte die Fakten wissen.«
»Das ist alles?«, fragte Nefret. »Nichts über …«
»Er wurde nicht erwähnt.« Ramses grinste. »Unter keinem seiner Pseudonyme. Vater hat zugestimmt, noch einen oder zwei Tage in Kairo zu bleiben und sich nochmals mit Wingate zu treffen. Das müsste dir zusagen; dann hast du mehr Zeit für die Klinik.«
Aus Manuskript H
Das zweite Treffen mit Wingate war kürzer als das erste, der Ton stellenweise härter. Wingate wollte mehr Details über eine Reihe von Leuten, die Emerson nicht diskutieren wollte, und über deren Bedeutung; als er sich nach ihrer Beziehung zu einem »gewissen Gentleman namens Smith« erkundigte, platzte Emerson der Kragen. (Er hatte sich schon eine ganze Weile beherrschen müssen.)
»Zum Henker, wenn Sie nicht wissen, wer dieser Bastard ist und was er vorhat, wie sollen wir es dann wissen? Komm, Ramses; wir haben genug Zeit darauf verschwendet, Leuten Dinge zu erklären, die sie eigentlich schon wissen müssten, und Fakten durchzukauen, die entweder einleuchtend oder irrelevant sind.«
Der neue Hochkommissar verkraftete diese Tirade besser als von Ramses vermutet. Inzwischen um die Sechzig, hatte er eine lange, schillernde Karriere als Gouverneur im Sudan hinter sich, und Ramses beschlich der Eindruck, dass er es schwieriger fand, mit seinen Vorgesetzten in Kairo zu verhandeln als mit den rebellischen Sudanesen. Als Emerson aus dem Raum rauschte, sagte Wingate freundlich: »Danke, meine Herren, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben«, und wandte sich wieder seinen Akten zu.
»Das war’s dann«, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher