Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
kamen für ihn nur in Frage, wenn sie sein Kerngeschäft förderten.
Musa blieb unauffindbar, deshalb wanderte Ramses für einige Stunden durch die Grünanlagen der Ezbekieh-Gärten, um den Gestank von El-Wasa abzuschütteln. Kurz nach Mittag kehrte er ins Hotel zurück. Nefret war nicht da, also schaute er im Zimmer seiner Eltern vorbei. Er fand seine Mutter allein im Salon, wo sie friedlich an einer Stickerei arbeitete. Verwundert, was sie zu dieser ungewöhnlichen Tätigkeit veranlasst hatte – sie verabscheute Handarbeiten und war auch nicht sonderlich geschickt darin –, gesellte er sich zu ihr auf das Sofa.
»Wo ist Vater?«, erkundigte er sich.
»Er ist mit Sennia spazieren gegangen, damit sie ein wenig müde wird. Bist du fertig mit dem Packen?«
»Nein«, gestand Ramses. »Nefret wollte, dass ich ihr das überlasse, weil ich immer nur Chaos anrichte.«
»Genau wie dein Vater. Für ihn bedeutet Packen, den Inhalt einer gesamten Kommode in einen Koffer zu stopfen und dann wirft er seine Stiefel noch oben drauf.«
»Was ist daran falsch?«, fragte Ramses, was sie mit einem Schmunzeln quittierte.
»Ich werde Gargery bitten, das zu übernehmen«, versprach sie.
»Schön, Nefret meinte, dass sie noch vor dem Mittagessen wieder hier ist. Ich vermute, ihr seid bereits reisefertig?«
»Selbstverständlich.« Sie musterte Ramses forschend. »Ist irgendwas? Du wirkst so nachdenklich?«
»Nein, es ist nichts. Tut mir Leid, wenn ich …« Ihre stahlgrauen Augen blieben auf ihn fixiert, und er hatte das plötzliche Bedürfnis, sich ihr anzuvertrauen. Der Blick seiner Mutter hatte diese Wirkung häufiger auf andere Menschen.
»Ich bin eifersüchtig – nein, nicht auf einen anderen Mann, es ist noch schlimmer. Eifersüchtig auf die Klinik und die Zeit, die sie dort verbringt. Es ist gemein, nicht wahr, dass ich Nefret um ihre Fähigkeiten und Interessen beneide?«
»Recht verständlich«, erwiderte seine Mutter ruhig. Sie steckte ihre Nadel in den Stoff, schimpfte leise, und wischte sich ihren Finger am Rock. Ramses gewahrte die Blutspuren auf Rock und Stickerei. »Möchtest du, dass sie ihre Arbeit als Ärztin aufgibt?«
»Um Gottes willen, nein! Ich würde ihr übel nehmen, wenn sie es meinetwegen täte. Ich würde es mir selber übel nehmen, wenn sie es täte.«
»Dennoch wird sie sich entscheiden müssen. Als wir in Gizeh gearbeitet haben, konnte sie einen Teil der Zeit im Krankenhaus verbringen, aber so wie es aussieht, werden wir für länger in Luxor bleiben.«
»Einer wird sich entscheiden müssen.«
Seine Mutter ließ die Handarbeit sinken und maß ihn fassungslos. »Das heißt doch nicht etwa, dass du die Ägyptologie an den Nagel hängen willst?«
»Nicht so extrem. Ich kann immer eine Anstellung bei Reisner bekommen, in Gizeh.« Sie schien so entsetzt, dass er seine Hand auf die ihre legte. »Ich möchte mit keinem anderen als Vater arbeiten, das weißt du. Aber ich muss bei ihr sein, und ich möchte, dass sie glücklich ist. Warum sollte ich von ihr verlangen, dass sie ihren Beruf aufgibt, wenn ich nicht bereit bin, einen vernünftigen Kompromiss vorzuschlagen?«
»Also ehrlich, Ramses.« Seine Mutter sah ihn entgeistert an. »Ich würde selbstverständlich erwarten, dass mein Sohn die Talente und Neigungen von Frauen anerkennt, aber du treibst es mit der Fairness doch ein bisschen zu weit. Was führt dich zu der Annahme, dass Nefret die Archäologie aufgeben will? Hast du sie gefragt?«
»Nein, ich wollte nicht …«
»Das Problem heraufbeschwören? Mein lieber Junge, Nefret ist keine Frau, die mit ihrer Meinung hinterm Berg hält. Du ziehst voreilige Schlüsse und quälst dich mit Dingen, die nie eintreten werden. Das ist eine schlimme Angewohnheit von dir.«
»Meinst du wirklich?«
»Ich bin sicher.« Sie zögerte, aber nicht lange. Unentschlossenheit gehörte beileibe nicht zu den Schwächen seiner Mutter. »Sie hat mir irgendwann einmal etwas gesagt, das du vielleicht erfahren solltest. ›Ich würde der Klinik für immer den Rücken kehren, wenn ich ihn nur in Sicherheit wüsste.‹«
»Das hat sie gesagt?«
»Ich will mich nicht festlegen, ob ich mich an den exakten Wortlaut erinnere, aber so war zweifellos ihre Aussage. Gütiger Himmel, Ramses, sieh mich nicht so entgeistert an. Wenn dir tatsächlich nicht bewusst ist, wie tief Nefrets Gefühle für dich sind, dann widmest du ihr einfach nicht die entsprechende Aufmerksamkeit.« Er fragte nicht, was sie damit meinte. Ihre
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