Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
alle anderen kannst du aussuchen.« Meine Abendgesellschaften, zur Feier unserer Rückkehr nach Ägypten, waren überaus beliebt gewesen. In den letzten Jahren hatte ich sie allerdings nur ungern gegeben; es war zu schmerzlich, die ständig kleiner werdende Gesellschaft zu sehen und sich das Schicksal derjenigen vorzustellen, die nicht mehr unter uns weilten: unsere deutschen und österreichischen Kollegen, die vielen französischen und englischen Ägyptologen, dezimiert von Tod oder Militärdienst. Dennoch hatte ich bereits Willkommensgrüße von denen erhalten, die noch in Kairo waren – die Nachricht von unserer Ankunft sprach sich natürlich rasch herum. Emersons Vorschlag löste das Problem, wie ich auf all jene Grüße und Einladungen reagieren sollte; trotzdem verblüffte er mich nicht wenig, da er gesellschaftliche Ereignisse verabscheute und Kairo außerdem so rasch als möglich verlassen wollte.
Eine kurze Phase der Reflexion erklärte seinen Sinneswandel. Der Brief von Cyrus und die Entdeckung der Artefakte bei Aslimi hatten seine Neugier beflügelt; Cyrus’ Erwähnung, dass Howard Carter involviert sein könnte, weckte verständlicherweise den Wunsch, ebendiesen Herrn zu befragen. Es gab noch einen anderen Grund, dass er freiwillig einen längeren Aufenthalt in Kairo auf sich nahm: Er hoffte auf eine weitere Kommunikation mit seinem Bruder. Er hatte tagtäglich gewissenhaft die ganze Post durchwühlt und war tief enttäuscht, dass er nichts Entsprechendes fand. Ich gestehe, ich war auch ein wenig empört über Sethos. Was war der Auslöser für diese kurze Begegnung gewesen?
Leider gelang es mir nicht, den fraglichen Archäologen aufzuspüren. Howard Carter war nicht in Kairo. Keiner wusste, wo er war. Als sich die kümmerliche Gästeschar indes am nächsten Abend bei uns einfand, war er das Hauptgesprächsthema. Aufgrund der kurzfristigen Einladung waren die Quibells die Einzigen, die zugesagt hatten.
»Ihr habt ihn einfach verpasst«, sagte Annie Quibell. »Er ist vor ein paar Tagen aus Luxor zurückgekehrt und wieder abgereist, ohne dass ihn einer von uns zu Gesicht bekommen hätte. James war außer sich.«
Sie lächelte zu ihrem Gatten, dessen gleichmütiges Naturell hinreichend bekannt war und der ganz ruhig erwiderte: »Schätze, es hing mit seinen Aufgaben für das Kriegsministerium zusammen, wenngleich ich gehofft hatte, mehr von seiner neuerlichen Arbeit in Luxor zu erfahren.«
»Und seinen Geschäften mit Mohassib?«, erkundigte sich Emerson und bedeutete dem Bediensteten, James’ Weinglas erneut zu füllen.
»Woher wissen Sie das?«
»Von Cyrus Vandergelt«, erwiderte ich. »Stimmt es denn?«
James zuckte die Schultern. »Auch ich habe das Gerücht gehört, bezweifle aber, dass Carter es mir gegenüber bestätigen würde, selbst wenn es wahr wäre. Er hat mehrere Monate in den südwestlichen Wadis zugebracht, wo das Grabmal der Prinzessinnen entdeckt wurde; als er Anfang Dezember für einige Tage in Kairo war, hat er mir in kurzen Zügen darüber berichtet. Haben Sie schon davon gehört, dass er ein weiteres Grab von Hatschepsut gefunden hat? Dieses hier wurde für sie errichtet, als sie Königin war, also noch nicht den Pharaonentitel angenommen hatte. Es war leer bis auf einen Sarkophag.« Er nahm sein Glas und nippte genießerisch an dem Wein.
»Wo?«, wollte Emerson wissen.
»Oben in einer Felsenschlucht, in einem der Westwadis«, sagte Annie. Sie und ihr Mann waren keine großen Befürworter von Howard; nach seinem Ausscheiden aus der Antikenverwaltung hatte er angefangen, mit Antiquitäten zu handeln, und das machte ihn nicht gerade beliebt bei seinen Kollegen. Etwas boshaft-belustigt fügte sie hinzu: »Er hat Hatschepsuts Grab nicht gefunden, James. Das waren ein paar Gurnawis. Er hat ihnen lediglich nachspioniert.«
»Pah«, schnaubte Emerson abfällig. »Da stellt sich mir doch die Frage, was er sonst noch gemacht hat.«
»Mir auch«, bekräftigte James.
Nachdem Howard unauffindbar blieb, wollte Emerson Luxor umgehend verlassen. Jedoch, es sollte nicht sein. Wir beendeten gerade das Frühstück en famille in unserem Salon, als ein Bote mit einem Brief für Emerson eintraf. Es war eine reizende kleine, häusliche Szene: Sennia drängte Ramses, ihr Unterricht in Hieroglyphen zu geben, Horus fauchte Gargery an, Emerson las die Egyptian Gazette und rauchte Pfeife, während Nefret mir von den neuen Absprachen im Krankenhaus berichtete. Als ich den Umschlag mit dem
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