Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
augenscheinlich Ägypterin, und man war es nicht gewohnt, gesellschaftlich mit »Einheimischen« zu verkehren.
Seine Augen schweiften wie gewöhnlich zu seiner Frau. Sie sah ihn und zwinkerte ihm kaum merklich zu, bevor sie sich wieder auf ihre Gesprächspartnerin konzentrierte, eine große, stattliche, mit Schmuck behängte Person; als sie den Kopf drehte und Nefret auf irgendetwas oder irgendjemanden aufmerksam machte, wusste er, dass er sie schon einmal gesehen hatte, aber nicht mehr wo.
Ramses gefiel sich in seiner Rolle als heimlicher Beobachter, als jemand ihm auf die Schulter tippte und er sich umdrehte. Das Gesicht, das ihn anstrahlte, kam ihm irgendwie bekannt vor, indes konnte er den Burschen nicht zuordnen.
»Albion, Joe Albion. Wir haben uns auf der Schiffspassage kennen gelernt.«
Ramses widersprach ihm nicht. »Gewiss, ich erinnere mich, Sir«, sagte er höflich.
Der kleine Mann lachte schallend. »Nein, das tun Sie nicht, junger Mann. Habe zwar versucht, Sie kennen zu lernen, aber Sie sind uns aus dem Weg gegangen. Haben Ihre Ma und Ihr Pa erzählt, dass wir uns neulich auf dem Pfad ins Tal der Könige getroffen haben?«
»Äh – nein, Sir.«
»Ich habe Ihren Pa gefragt, ob er mich mit ein paar Grabräubern bekannt machen kann«, fuhr Albion fort. »Er hat abgelehnt. Schien mir ein bisschen verstimmt.«
»Ma« und »Pa« waren schon schlimm genug gewesen; nach dieser infamen Äußerung verschluckte sich Ramses an seinem Champagner. Albion klopfte ihm auf den Rücken.
»Sollten nicht gleichzeitig reden und trinken, junger Mann. Brauche ohnehin keinen Tipp von Ihnen; hier gibt es genug Burschen, besonders in diesem Dorf – Gurneh. Hab neulich mit einigen von ihnen geplaudert.«
»Mit wem?«, erkundigte sich Ramses.
»Einem Burschen namens Mohammed.« Albion kicherte. »Aber so heißen hier ja wohl alle.«
Ramses hatte sich wieder gefasst, war sich aber immer noch unschlüssig, ob der Mann ihn nicht hochnahm. »Ich denke, ich kenne diesen Mohammed. Sie können in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn Sie sich auf ihn und seine Freunde einlassen, Mr Albion.«
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein.« Er grinste breit, doch für Augenblicke trat ein Ausdruck in seine tief liegenden Augen, der Ramses zweifeln ließ, ob Albion wirklich so naiv und harmlos war, wie er tat.
»Kommen Sie, ich mache Sie mit meinem Sohn bekannt«, fuhr der kleine Mann fort. Seine teigige Hand packte Ramses’ Arm, und Ramses ließ sich zu einem jungen Mann schleifen, der mit hängenden Schultern etwas abseits von den anderen stand und ein Glas Champagner umklammerte, seine Miene distanziert. Vermutlich genau wie meine, dachte Ramses bei sich. Entweder befand der junge Mr Albion die Anwesenden seiner Aufmerksamkeit nicht würdig, oder er war schüchtern.
Er richtete sich zu seiner vollen Länge auf, etwas unter eins achtzig, als sein Vater mit Ramses auftauchte. Sein schmales, reserviertes Gesicht und die Brille erinnerten an einen Wissenschaftler, gleichwohl schien er gut trainiert, wenn auch ein bisschen füllig um die Taille. Seine herben Züge entspannten kaum merklich, als sein Vater Ramses vorstellte.
»Kann mir vorstellen, dass ihr zwei jungen Typen viele Gemeinsamkeiten habt«, fuhr der Senior etwas kurzatmig fort. »Da muss man sich doch kennen lernen, was? Steh nicht besonders auf Konventionen. Die Leute nennen Sie Ramses, nicht? Ist wohl ein kleiner Scherz, schätz ich. Ramses – Sebastian. Sebastian – Ramses.« Er grölte. »Hab den britischen Sinn für Humor noch nie kapiert.« Er stapfte davon, und Sebastian sagte: »Freut mich, Sie kennen zu lernen. Ich habe mir Ihr Buch über die ägyptische Grammatik angesehen; schien mir recht plausibel, aber ich gebe offen zu, ich bin kein Sprachgenie. Die ägyptische Kunst ist mein Spezialgebiet.«
»Wo haben Sie studiert?«, erkundigte sich Ramses. »Harvard.«
Natürlich, dachte Ramses, wo sonst? Der Akzent war unmissverständlich und völlig anders als der seines Vaters. Albion war das, was seine Mutter als »ganz normalen kleinen Mann von der Straße« bezeichnet hätte. Ramses mochte »ganz normale« Menschen, aber er fragte sich, wie der lustige, ignorante Albion einen dermaßen überheblichen, selbstgefällig-intellektuellen Pedanten hervorgebracht hatte. Sebastian schienen die Manieren seines Vaters nicht zu stören, was ein Punkt zu seinen Gunsten war.
Indes der einzige. Der junge Albion monologisierte weiter. Und weiter. Er sei nicht geneigt, es
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