Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
Tisch zu legen. Wenn es dir unangenehm ist, übernehme ich das für dich.«
»Mach du das besser. Du bist einfühlsamer.«
»Ich werde eine günstige Gelegenheit abwarten«, versprach ich. »Dann hast du sie heute Nacht zur Isis zurückgebracht?«
»Ja. Die alte Dame hatte sich zur Ruhe begeben, sodass ich unbemerkt blieb. Ich werde Maryam und ihre paar Sachen heute noch holen und auf die Dahabije bringen.«
»Es wäre nicht schicklich, wenn sie dort mit dir logierte.«
»Herrgott, Amelia, sie ist meine Tochter!«
»Möchtest du, dass ganz Luxor davon erfährt?«
Sethos kratzte sich das Kinn. Der sprießende Bart und die abheilenden Wunden juckten ihn vermutlich. »Ich habe es satt, ständig neue Identitäten und absurde Pläne auszutüfteln, Amelia. Soweit ihre Chefin weiß, bin ich ein alter Freund ihres Vaters. Maryam meint, dass die betagte Dame unter einer leichten Geistesschwäche leidet, folglich wird sie keine verfänglichen Fragen stellen; die Gerüchteküche in Luxor wird allerdings brodeln. Ich habe mich nochmals für die Identität von Major Hamilton entschieden. Im Ruhestand, natürlich. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass sich irgendjemand bei Maryam an Molly erinnert, von daher lässt sich mein Interesse an ihr erklären.«
»Hamilton war rothaarig«, sagte ich mit einem kritischen Blick auf sein sonderbar meliertes Haar.
»Ich werde grau. Traurig, nicht, wie die Jahre ihren Tribut fordern?«
»Tsts.« Emerson baute sich im Türrahmen auf. »ähm … alles in Ordnung mit dem Mädchen?«
»Aber sicher«, sagte ich rasch, wohl wissend, dass er keine langen Erklärungen erwartete. »Ist das Frühstück fertig?«
»Ja. Ich nehme an«, brummte Emerson, »es wäre vertane Liebesmüh, dich zu bitten, nicht mit zur Wache zu kommen.«
»Wie Recht du doch hast. Ich halte es für zweckmäßig, dass Sethos uns begleitet. Schließlich hat er den Toten gut gekannt.«
Auf die Nachricht von Martinellis Tod hob Sethos nur vielmeinend die Brauen und pfiff leise. Ich hielt mich nicht lange mit Fakten auf, während des Frühstücks war das Thema ohnedies tabu. Evelyn erkundigte sich nach Maryam. Walter versuchte mehrfach erfolglos, Sethos’ richtigen Namen herauszubekommen, und Ramses berichtete von Selims Faszination für das Flugzeug. »Er hat die verdreckte Maschine gestreichelt wie eine Geliebte und den Leutnant gefragt, ob es schwierig sei, sie zu fliegen.«
Die meisten Ausländer kamen mit der einheimischen Polizei kaum in Berührung, da diese zumeist Diebstähle oder Erpressungsfälle durch die Dragomans oder Reiseagenturen aufklärte. In Kairo unterstand die Polizei – genau wie alles andere in Ägypten – der Leitung eines »britischen Beraters«, die Provinzbeamten richteten sich jedoch vielfach nach den Anweisungen des örtlichen Mudirs. Ich kannte die Polizeistation und war angenehm überrascht über die dortigen Veränderungen. Die defekten Treppen und Fenster waren erneuert worden; zwei Beamte, in schmucker weißer Uniform und rotem Tarbusch, standen Wache am Eingang, statt wie früher auf den Stufen ein Nickerchen zu halten. In Ägypten wehte ein neuer Wind, und der junge Mann, der sich umgehend erhob, als man uns in sein Büro führte, war ein weiteres Indiz für die Veränderungen. Größer als die meisten Ägypter, sein Bart kurz gestutzt, hatte er die dunkle Haut der Sudanesen und französische Manieren, denn er küsste mir respektvoll die Hand, wenn auch mit einem ironischen Funkeln in den wachsamen schwarzen Augen.
»Mit dieser Ehre hatte ich nicht gerechnet, Sitt Hakim«, sagte er.
Auf diesen unterschwelligen Seitenhieb erwiderte ich in meinem besten Arabisch: »Ich wollte die Chance nutzen, denjenigen kennen zu lernen, auf den man solche Lobeshymnen singt.«
»Friede und Gottes Gnade seien mit Ihnen«, versetzte Emerson. Nachdem das Formelle für ihn damit geklärt war, fuhr er fort: »Sie kennen meinen Sohn bereits. Dies ist meine Schwiegertochter – eine richtige Sitt Hakim – und – äh –«
»Ein Freund, Effendi.« Sethos verbeugte sich. Ayyads Blick ruhte kurz auf ihm und kehrte darauf zurück zu Nefret. »Danke, dass Sie gekommen sind. Ich habe darum gebeten, dass die fraglichen Objekte hergebracht werden. Das Leichenschauhaus ist einer Dame nicht zumutbar.«
Nefret hätte ihn darauf aufmerksam machen können, dass ihr Leichen vertrauter waren als ihm, stattdessen quittierte sie seine höfliche Geste mit einem Lächeln. Der Raum war ziemlich groß und schäbig
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