Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
melodische Stimme unterbrach die Kontrahenten. »Schweifen wir nicht zu sehr ab? Wir müssen alle an einem Strang ziehen, also sollten wir uns schleunigst auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen.«
»Nefret hat Recht. Wir müssen uns umgehend an Martinellis Fersen heften. Wenn die Suche erfolglos verläuft, werden wir weitere Schritte überlegen müssen. Schließlich«, fügte ich in dem mir eigenen Bestreben, stets das Positive zu sehen, hinzu, »weiß noch keiner von dem Diebstahl, und Monsieur Lacau wird sich die nächsten Wochen nicht blicken lassen. Das gibt uns einen gewissen zeitlichen Aufschub. Ich habe da so meine Vorstellungen …«
Nefret prustete los, und Cyrus’ faltiges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Wenn Sie keinen Ausweg wissen, Amelia, wer dann? Also gut, Sie haben das Wort. Was sollen wir als Erstes tun?«
Die Antwort war mir so sonnenklar wie vermutlich auch meinen intelligenten Lesern. Der Torwächter berichtete, dass Martinelli das Haus erst spät in der Nacht verlassen habe – »wie so oft«, fügte der Bursche hämisch feixend hinzu. Er war zu Fuß über die Straße gegangen, die aus dem Tal und zum Fluss führte, »marschiert wie ein Mann, der sich freut auf ein Schäfer…« Ich war dem Burschen mit einer weiteren Frage ins Wort gefallen. Ja, er hatte eine kleine Tasche bei sich gehabt, gerade groß genug für Wechselgarderobe oder einen Schlafanzug.
»Oder drei Armbänder und ein Collier, sorgsam verpackt«, knurrte Emerson, nachdem wir den Zeugen entlassen hatten.
Es dauerte eine Weile, bis wir den Fährmann fanden, der den Italiener über den Fluss gebracht hatte. Er war untröstlich; auf Bitten des Effendis habe er stundenlang auf dessen Rückkehr gewartet, aber sein Kunde sei nicht zurückgekommen. Er habe Verlust gemacht, hohe Verdiensteinbußen, weil er andere abgewimmelt habe … und so ging es in einem fort.
Ich bezweifelte, dass es um diese nachtschlafende Zeit viele gewesen waren, trotzdem zeigten wir unseren guten Willen, indem wir uns von ihm nach Luxor übersetzen ließen.
Der Tourismus hatte sich wieder normalisiert, und die Stadt war so betriebsam und belebt wie vor dem Krieg. Die frisch gestrichene Hotelfassade des Winter Palace erstrahlte in zuversichtlichem Bonbonrosa, auf der staubigen Straße drängelten sich Droschken, Maultiere und Kamele. Touristenschiffe und Dahabijen säumten den Kai. Hier und da standen Passagiere an der Reling und winkten uns zu. Ich glaube nicht, dass sie uns kannten, denn ich kannte sie auch nicht. Trotzdem winkte ich zurück. Emerson verwünschte sie.
»Verflucht, einfach zu viele Leute unterwegs. Wird nicht einfach sein, ihn in diesem Sauhaufen aufzuspüren.«
Er behielt Recht mit seiner Befürchtung. Katherine war im Schloss geblieben und wir immerhin zu sechst, deshalb teilten wir uns auf. Wir einigten uns darauf, uns auf der Terrasse des Winter Palace zu treffen, nachdem wir Nachforschungen angestellt hätten in den Hotels und an anderen, weniger passablen Aufenthaltsorten. (Mein Vorschlag, die Damen jener letztgenannten Etablissements zu befragen, wurde schnöde übergangen.)
Die Ergebnisse waren enttäuschend, um nicht zu sagen niederschmetternd. Martinelli war in den Hotels und Cafés kein Unbekannter, gleichwohl hatte ihn zu dem besagten Zeitpunkt angeblich niemand gesehen. Die holde Weiblichkeit, deren Befragung Emerson übernahm, stritt ab, dass er sie jemals besucht habe. Ich war geneigt, ihnen zu glauben, warum sollten sie auch lügen? Offenbar hatte er genug Grips (oder genug Erfolg an anderer Stelle), derartige Lasterhöhlen zu meiden.
Ramses, der den Bahnhof ausgekundschaftet hatte, stieß als Letzter zu uns. »Nichts?«, erkundigte er sich.
»Nein. Und du?«, versetzte Emerson.
»Ein Mann, auf den seine Beschreibung gepasst hätte, hat den Morgenexpress nach Kairo genommen. Das heißt gar nichts«, setzte Ramses rasch hinzu. »Ihr wisst, wie diensteifrig die Ägypter Informationen liefern, von denen sie meinen, dass man sie hören will. Keiner erinnerte sich an eine Reisetasche oder an seinen geckenhaften Spazierstock.«
Betretenes Schweigen trat ein. »Sieht schlecht aus«, seufzte Cyrus. »Also, was machen wir jetzt?«
Alle sahen mich an. Überaus erfreulich. »Zu Mittag essen«, sagte ich und führte die kleine Gruppe in den Speisesaal.
Wir waren der Direktion dieses hervorragenden Hotels bestens bekannt und bekamen problemlos einen Tisch. Bei einer Flasche Wein und einem Menü, das Cyrus kaum
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