Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
frühmorgendlichen Rundgang entdeckt hatte, erwies sich als korrekt. In dem Gedanken, dass Martinelli den Schmuck zu Präparationszwecken entfernt haben könnte, hatte er ergebnislos das Labor durchsucht und war dann, zunehmend aufgebracht, in das Zimmer des Italieners gestürmt. Signor Martinelli hatte das Bett nicht angerührt, und er war auch nirgends im Haus.
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen«, wandte ich ein. »Er kann die Nacht durchaus in Luxor verbracht haben, wegen seiner – äh – Geschichten. Sind seine persönlichen Sachen noch in seinem Zimmer?«
»Teufel noch, was sollte das ändern?«, entrüstete sich Cyrus. »Wo immer er ist, er hat die Juwelen. Er ist außer mir der Einzige, der einen Schlüssel zu diesem Raum hat. Ich habe ihn heute Nacht abgeschlossen – in eurem Beisein –, und heute Morgen war er immer noch verschlossen.«
»Es war schon gut, dass ich die Diener fortgeschickt habe«, seufzte ich. »Cyrus, ich hoffe, Ihnen ist in Ihrer Aufregung nicht herausgerutscht, dass etwas von dem Schmuck fehlt.«
»Ich bin doch kein Volltrottel«, schnaubte Cyrus. »Allerdings wissen sie, dass ich Martinelli gesucht habe.«
»Sein Verschwinden – sofern es keine harmlose Verspätung ist – würde sich vor den Dienern auch nicht verheimlichen lassen«, sagte ich. »Ich nehme an, dass er bislang noch nie die ganze Nacht weggeblieben ist? Nein? Dann ist eine gewisse Besorgnis verständlich, und wenn er nicht auftaucht, werden wir Nachforschungen anstellen müssen. Zunächst einmal stellen wir fest, ob und was er mitgenommen hat.«
»Ich gehe nachsehen«, erbot sich Bertie.
»Ja, das wäre sinnvoll«, bekräftigte ich. »Sie kennen seine Garderobe sicher besser als ich.«
Bertie verschwand unauffällig, und Katherine drückte ihren völlig aufgelösten Gatten in einen Sessel und reichte ihm eine Tasse Kaffee. »Tut mir Leid, Leute«, murmelte Cyrus. »Hätte nicht den Kopf verlieren dürfen. Aber das Ganze bringt mich in eine entsetzliche Lage.«
Er war zu höflich, um näher darauf einzugehen, dass unsere Situation noch prekärer war. Martinelli war einer der Restauratoren und Fälscher gewesen, die Sethos in Ägypten beschäftigt hatte, als er noch im illegalen Antiquitätenhandel mitmischte. Sethos hatte ihn empfohlen, und Cyrus hatte uns spontan geglaubt, dass der Italiener vertrauenswürdig sei.
Die fatalen Verstrickungen blieben uns nicht verborgen. Emerson, seine Denkerstirn gefurcht, äußerte sie als Erster. Im Brustton der Überzeugung verkündete er: »Die ultimative Verantwortung liegt bei uns, Vandergelt. Ich bedaure zutiefst, dass eine solche Katastrophe eingetreten ist, aber Sie werden die Konsequenzen nicht allein tragen, mein Wort darauf.«
»Wie nobel von dir, Emerson«, murmelte ich, als Cyrus ihm mit tränenfeuchten Augen die Hand hinhielt. »Aber wenn du mich fragst, nicht sonderlich konstruktiv. Momentan kennen wir weder das Ausmaß der Katastrophe, noch haben wir Maßnahmen erörtert, um diese einzugrenzen. Ich habe da ein paar Ideen.«
»Daran zweifle ich nicht«, brummelte Emerson. »Sieh mal, Amelia …«
Bertie schlüpfte zurück ins Zimmer. »Und?«, drängte Emerson.
»Seine persönlichen Sachen hat er jedenfalls zurückgelassen«, war die Antwort. »Kleidung, Koffer, sogar sein Rasierzeug. Hut und Mantel sowie sein Spazierstock mit Goldknauf sind weg, und wenn ich nicht irre, fehlt eine kleine Reisetasche.«
»Merkwürdig!«, entfuhr es mir. »Dann wollte er also zurückkommen.«
»Nicht unbedingt«, meinte Ramses. Seine Miene blieb nicht mehr so unbeteiligt wie in seiner Jugend, als Nefret sein Gesicht mit »steinernem Pharaonen-Antlitz« umschrieben hatte. Inzwischen zeigte er seine Gefühle, vor allem die Zuneigung, die er für seine Frau und seine Kinder empfand; jetzt, da er meiner optimistischen Einschätzung den Todesstoß versetzte, waren seine Züge jedoch undeutbar. »Er konnte schwerlich seine Koffer packen und diese unbemerkt aus dem Haus tragen. Außerdem musste er bei einem offiziellen Aufbruch damit rechnen, dass Cyrus sein Gepäck auf Wertgegenstände hin untersucht hätte.«
Ich nickte widerstrebend. »Das hätte ein erfahrener Ganove wie er gewiss einkalkuliert, schließlich ist er von einem der besten kriminellen Hirne ausgebildet …«
Cyrus’ Blick war grimmig. »Wollen Sie damit andeuten, dass Sethos dahinter steckt, Amelia? Ich dachte, er hätte sich geläutert.«
»Sie will damit nichts dergleichen andeuten.« Nefrets
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