Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
»Gütiger Himmel, Peabody, das kann nicht dein Ernst sein. Das wäre ja … Hmmm.«
»Es wäre extrem schwierig und höchst unmoralisch«, versetzte Ramses, entrüstet über die verschlagene Miene seines Vaters. »Wir würden sämtliche Aufzeichnungen korrigieren müssen – es gibt Dutzende von akribisch dokumentierten Verweisen auf diese Stücke. Ihr Ruf würde ernsten Schaden nehmen, Cyrus, wenn man uns dabei erwischte. So wie es jetzt ist, haben Sie für Ägypten und die ganze Welt einen spektakulären Fund gesichert. Nicht einmal Lacau kann Sie für einen korrupten Mitarbeiter zur Rechenschaft ziehen. Dergleichen passiert doch ständig.« Dann setzte er hinzu: »Mutter hat einen ihrer kleinen Scherze gemacht. Nicht wahr, Mutter?«
Sie erwiderte seinen zurechtweisenden Blick mit einem scheinheiligen Lächeln. »Ein kleiner Scherz ist nie verkehrt. Du hast die Sachlage trefflich geschildert, mein Junge.«
»Meint ihr, Lacau wird es auch so sehen?« Cyrus wirkte eine Spur gelöster.
»Wenn nicht«, brummte Emerson, »werde ich seine Nase auf ein paar erschütternde Vorfälle in puncto Antikenverwaltung stoßen. Himmeldonnerwetter, dort sind die Lagerräume ausgeraubt worden, und was das Museum angeht …«
»Ja, Vater, wir wissen, was du von dem Museum hältst«, warf Nefret ein.
Emerson war nicht zu bremsen. »Unsere Mumie«, tönte er. »Die, die wir in Tetischeris Grab gefunden haben. Sie haben sie verloren, wisst ihr. Einfach verloren!«
»Wir wissen es, Emerson«, sagte seine Gattin beschwichtigend. »Du hast ein hervorragendes Argument angebracht, das Monsieur Lacau bestimmt beeindrucken wird. Überdies …« Sie knabberte genüsslich an einem Stück Tomate. »Überdies wird er erst in etlichen Wochen zurück sein. Vielleicht ergibt sich in der Zwischenzeit noch das eine oder andere!«
Nach dem Diner gingen sie nach oben, um die Ausstellung zu bewundern. Cyrus brauchte mehrere Minuten, um die Tür zu öffnen; er hatte zwei neue Schlösser anbringen lassen. Auf Ramses’ forschenden Blick hin grinste Cyrus verlegen.
»Die Stalltür verriegeln, nachdem der Gaul bereits geklaut worden ist, ich weiß.«
»Stimmt nicht ganz, Sir. Martinelli hatte den Schlüssel zu dem anderen Schloss – und hat ihn vermutlich noch.«
»Wo immer dieser Hur… Hundesohn auch ist.«
»Wer hat die Ausstellung sonst noch gesehen?«
»Nicht so viele Leute, wie sie gern gesehen hätten«, erwiderte Cyrus, an seinem Spitzbart zupfend. »Sie wissen doch, wie es ist, wenn man etwas Außergewöhnliches findet. Eine Zeit lang bekam ich Anfragen von sämtlichen Touristen in Luxor, alle behaupteten, alte Freunde von mir oder von meinen alten Freunden oder von irgendeiner einflussreichen Person zu sein. Ich hab die meisten abgeschmettert. Bei einigen konnte ich nicht ablehnen, weil sie Empfehlungsschreiben von Lacau oder Kollegen wie Howard Carter hatten … So sieht’s aus, Leute. Sie glauben doch nicht, dass einer von ihnen seine Hand im Spiel hatte?«
»Ich wüsste nicht, wie«, räumte Ramses ein. Eine Frage von Lia lenkte Cyrus ab, worauf Ramses sinnierte, warum er Cyrus eigentlich auf eventuelle Besucher angesprochen habe. Selbst wenn jemand der Versuchung erlegen wäre, hätte er (oder sie) es nicht leicht gehabt, sich im Beisein von Cyrus ein Objekt unter den Nagel zu reißen, und der Zeitpunkt sprach für Martinellis Schuld. Gleichwohl deutete das begrenzte Ausmaß des Diebstahls eher auf einen Anfall von Kleptomanie als auf die Arbeit eines professionellen Diebs, der Zugang zu der kompletten Sammlung und jede Menge Zeit gehabt hatte.
Etliche der kleineren Objekte, darunter auch der übrige Schmuck, hätten sich mühelos transportieren lassen und nicht viel Platz beansprucht.
Aber wenn es ein dreister Amateur gewesen war, was war dann aus dem Italiener geworden?
Sichtlich stolz genoss Cyrus die Faszination seiner Gäste. Vielleicht war David der Einzige, der die Arbeit zu würdigen wusste, die in die Erhaltung der Stücke geflossen war. Er hatte bei der Räumung von Tetischeris Grab geholfen und viele der Artefakte restauriert. Walter inspizierte sämtliche Objekte, bevor er sich den Intarsien auf den Sarkophagen zuwandte.
»Die Standardinschriften«, sagte er zu Ramses. »Keine Papyri außer den Totenbüchern?«
»Nein, Sir, aber eine Menge Inschriftenmaterial aus dem Dorf selber – Tontäfelchen und Papyrusfragmente. Vor ein paar Wochen sind wir auf einen erstaunlichen Papyrusfund gestoßen – man könnte fast
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