Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
zugesagt, dass er David nachmittags haben kann. Wir sehen uns zum Tee, David.«
Emerson schob sein Kinn vor. »Und du solltest dich umziehen, Emerson«, fuhr ich fort. »Du siehst noch indiskutabler aus als sonst!«
»Ich werde mich nicht in irgendeiner Pseudo-Archäologenkluft von diesen unsäglichen Touristen angaffen lassen.«
David brach auf, und Nefret erbot sich, mir beim Durchsieben des ständig wachsenden Geröllhaufens zu helfen. Sie wirkte etwas grüblerisch. Nach längerem Schweigen ergriff sie schließlich das Wort.
»Dieser Bursche François scheint mir nicht der richtige Umgang für einen Jungen wie Justin. Sollen wir einmal mit seiner Großmutter reden?«
»Emerson würde uns beide für aufdringliche Besserwisser halten.«
»Das hat dich noch nie daran gehindert, dich einzumischen.«
»Gewiss nicht. Ich bin für mein Handeln selbst verantwortlich. Der Gedanke ist mir übrigens auch schon gekommen«, gestand ich, während ich eine kleine Tonscherbe aus dem Sieb fischte und beiseite legte. »Aber vielleicht schadet es mehr, als dass es nutzt. Alte Menschen sind sehr festgefahren und empfindlich gegenüber Kritik. Überdies wissen wir nicht, was dem Jungen eigentlich fehlt. Er verkörpert eine seltsame Mischung von Naivität und Lebenstüchtigkeit, geistig klaren Phasen folgen Bewusstseinsstörungen.«
Nefret sank auf ihre Fersen zurück und wischte sich die verschwitzte Stirn. »Seine Symptome sind teilweise charakteristisch für hochgradig Geistesgestörte. Die meisten Epileptiker verfügen allerdings über eine normale bis überdurchschnittliche Intelligenz. Er wirkt kindlich für sein Alter. Natürlich bin ich keine Expertin für Geisteskrankheiten. Ich hatte mir immer vorgenommen, dieses Fach zu studieren.«
»Neben Chirurgie und Frauenheilkunde? Mein liebes Mädchen, du hast genug zu tun – mit Mann und Kindern, dem Hospital –, ganz zu schweigen von Emerson, der dich jeden Tag mitschleift.«
Sie überging mein verständnisvolles Lächeln. »Ich habe fast zwei Jahre lang nicht mehr im Hospital gearbeitet, Mutter. Es ist in guten Händen, aber gelegentlich vermisse ich es. Was die Praxis angeht, ich wollte hier in Luxor … du weißt ja, was damit ist.«
»Du hast deine medizinische Ausrüstung und genug Platz für Praxis- und Operationsräume«, erwiderte ich. »Nachdem die Kinder jetzt älter sind, kannst du doch deine Pläne wieder aufnehmen.«
»Mein Wissen ist ziemlich angestaubt. Wie einige meiner chirurgischen Instrumente! Ich habe lediglich bei einigen schwierigeren Geburten assistiert und hier und da einen Knochenbruch behandelt.«
»Umso mehr Grund, dein Wissen aufzufrischen. Davon hatte ich keine Ahnung, Nefret. Du hättest dich mir anvertrauen sollen. Ich sorge umgehend dafür, dass die Räumlichkeiten vorbereitet werden.«
Ihre Stirn glättete sich, und sie kicherte melodisch. »Mutter, du bist unverbesserlich. Ich wollte mich doch gar nicht beschweren. Bitte mach dir keine Mühe. Du hast mit dem Rest der Familie schon genug zu tun!«
»Verglichen mit Emersons Querelen wird es mir ein Vergnügen sein«, versicherte ich ihr.
Ich weiß mir nicht zu erklären, wie ich die Signale übersehen konnte. Da ich Ausreden verabscheue, will ich erst gar nicht erwähnen, dass ich intensiv mit den Vorbereitungen für Nefrets Arztpraxis beschäftigt war. Unser Bauplan sah drei kleinere Räume vor, etwas abseits vom Haus und mit separatem Eingang. Diese waren zwei Jahre lang nicht benutzt worden und mussten vor einer entsprechenden Möblierung gründlich gereinigt und desinfiziert werden. Überdies befanden wir uns in der glücklichen Lage, Medikamente von den Apotheken in Luxor zu beziehen, und ich schlug mehrere Mädchen vor, die als Arzthelferin infrage kommen könnten.
Nefret hatte sich bereits für jemanden entschieden. »Kadijas Enkelin Nisrin war hier, sobald sie von der Klinik erfuhr. Sie hat sich schon immer für diesen Beruf interessiert, und Kadija hat ihr eine Menge beigebracht.«
»Ach ja, ich erinnere mich an sie. Eine nette, aber ziemlich – ähm – kräftige junge Frau.«
»Sie ist erst vierzehn und schon verlobt.« Nefrets Stimme verriet ihre Ablehnung gegenüber der ägyptischen Sitte der frühen Eheschließung.
»Du möchtest mal wieder eine ›retten‹, stimmt’s?«
»Sofern sie gut ist und gern arbeitet – ja. Ihr Vater hat die Ehe arrangiert, doch wenn Daoud und Kadija mir den Rücken stärken, wird er nachgeben müssen.«
Da Daoud Wachs in Nefrets
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