Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
Händen war und Kadija eine ihrer besten Freundinnen und glühenden Bewunderinnen, hatte ich daran keinen Zweifel. Ich redete selbst mit dem Mädchen. Nisrin schaffte es sogar, ihre Schüchternheit ein wenig abzulegen, sodass ich sie schließlich ganz akzeptabel fand.
So kam eins zum anderen … Müßig zu erwähnen, dass ich die verhängnisvollen Signale missachtete, worauf die Katastrophe sozusagen wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf mich zurollte.
Erst später fiel mir auf, dass Emerson sich schon seit mehreren Tagen merkwürdig verhielt. Ich schob dies auf Überarbeitung, denn seine verfluchte Stratigrafie war aufwändiger als erwartet. Sein ungewöhnliches Interesse am Posteingang hätte sich mit Besorgnis um seinen Halbbruder erklären lassen; bislang hatten wir noch keine Antwort auf unsere Telegramme erhalten. Selim, der, wie ich später aufdeckte, von Anfang an in den Plan eingeweiht war, ging mir geflissentlich aus dem Weg. Erst als ich ihn eines Nachmittags suchte, dämmerte mir, dass ich ihn den ganzen Tag nicht gesehen hatte. Ich ging sofort zu Emerson.
»Wo ist Selim? Ich möchte ihn etwas fragen …«
»Ja, ja«, erwiderte Emerson seltsam schrill. »Ich weiß, wo er ist.«
»Emerson, was hast du?«
Emersons braun gebranntes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Ich habe eine Überraschung für dich, Peabody.«
»Sag es mir«, drängte ich mit aufgeregter Stimme. »Spann mich nicht unnötig auf die Folter. Was …«
»Nein, nein, ich werde es dir zeigen. Ich werde es allen zeigen!« Er nahm seine Taschenuhr heraus, warf einen Blick darauf, dann brüllte er in einer Lautstärke, dass man ihn bis zum Westufer hörte: »Wir machen für heute Schluss! Alle kommen mit zu uns!«
Mehr war ihm nicht zu entlocken. Es war früher Nachmittag, eine ungewöhnliche Zeit, um die Arbeit einzustellen. Verwundert und, in meinem Fall, extrem gespannt, saßen wir auf und ritten in Richtung Haus. Ich fragte Ramses, ich fragte Nefret, ich fragte Lia; alle drei beteuerten, nicht mehr zu wissen als ich.
Emerson, der alle anderen überholt hatte, lief bereits ungeduldig auf der Veranda hin und her. »Pünktlich, pünktlich«, strahlte er. »Da kommen sie.«
Mein Blick traf auf eine ungewöhnliche Karawane, die in Richtung Haus zog: eine Reihe von Esel- und Maultierkarren, zwei schwer beladene Kamele und mehrere Dutzend singender, tanzender Männer, angeführt von Selim zu Pferd.
Die mit riesigen Packkisten beladenen Karren hielten vor dem Haus. Die Männer entluden sie und die Lasttiere. Emerson stürmte hinaus. »Ist alles da, Selim?«
»Das werden wir gleich sehen, Emerson.« Selim schwang eine Brechstange. Emerson entriss sie ihm und machte sich an der größten Holzkiste zu schaffen.
Da dämmerte mir die grässliche Wahrheit. »Ach du meine Güte«, sagte ich tonlos. »Es kann nicht sein.«
Unter Emersons Brachialgewalt hob sich der Kistendeckel, die Seiten gaben nach und enthüllten einen Metallrahmen. Auf den ersten Blick hatte er wenig Ähnlichkeit mit dem von mir erwarteten und verhassten Gegenstand, denn etliche Teile fehlten. Gleichwohl wusste ich, worum es sich handelte und wo sie waren – in den anderen Kisten, die die Männer nach Selims Anweisungen öffneten. Nach und nach kam alles zum Vorschein: Metallhaube und Kotflügel, vier stabile Reifen und andere Teile, die ich nicht zuzuordnen wusste.
Wir hatten schon einige Automobile besessen. Ich lehnte diese verfluchten Vehikel in erster Linie deshalb ab, weil Emerson darauf bestand, sie höchstpersönlich zu fahren. Weilten wir auf unserem englischen Wohnsitz in Kent, nahmen die Ortsansässigen schlagartig Reißaus, wenn Emerson losbrauste; auf den belebten Straßen von Kairo durfte er das nicht erwarten. Mittlerweile waren Autos nichts Ungewöhnliches mehr im Stadtbild, und während des Krieges hatte das Militär auch in ländlicheren Gegenden Straßen angelegt. Als wir für unbestimmte Zeit nach Luxor zogen, hatte ich meinen Gatten dennoch überzeugen können, das Fahrzeug zu verkaufen, indem ich darauf hinwies, dass es uns dort nicht viel nützen werde.
Inzwischen hatte Emerson ziemlich viel Publikum um sich versammelt – uns, einschließlich Walter, unsere Arbeiter, das Personal und halb Kurna. Etliche hockten andächtig auf dem Boden, andere schubsten und schoben, um besser sehen zu können; ringsum wogende, flatternde Roben.
Als ich schließlich zu meiner Stimme zurückfand, musste ich den Lärm überbrüllen. Emerson, der neben
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