Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Sphinxen gesäumte Treppenflucht erreichte, war schwer bewacht. Vermutlich hatte sämtliches Geflügel seine Schwanzfedern für die Uniformierung dieser Bande gelassen. Je mehr Federn, umso höher der Rang, sollte man meinen.
Das Fenster der Erscheinung und der Platz davor befanden sich auf der Nordseite, mit Blick auf den großen Tempel.
»Vater, sollen wir uns nicht aufteilen?«, schlug Ramses vor. »Du schlenderst mit Mutter weiter, bis zum Ende der Allee. Natürlich nur, wenn euch das nicht zu mühsam ist. Wir sind noch nie weiter vorgedrungen als bis zum Haupttempel. Ich gehe in die andere Richtung.«
»Für einen sentimentalen Blick auf unser früheres Zuhause?«, scherzte der Professor. »Hervorragende Idee, mein Junge. Auf diese Weise erkunden wir mehr von dem weitläufigen Gelände. Aber tu nichts Unüberlegtes.«
»Haha«, meinte Ramses’ Mutter spitz. »Selim, du begleitest Ramses. Wir treffen uns in unserem Haus, sagen wir … in einer Stunde?«
Die kleinen Rekkit waren fort, als Ramses und Selim wieder an der Stelle vorbeigingen, wo diese gearbeitet hatten. Gefolgt von der Hälfte der ursprünglichen Eskorte – die anderen vier begleiteten seine Eltern und Daoud – flanierten sie längs der Südschleife der Felsen. So wie es aussah, war ein Großteil der neueren Monumente, Tempel und Schreine unterirdisch angelegt. Steinmetze hämmerten an einem halbfertigen Pylon herum, andere schleppten Felsquader aus einem Steinbruch unterhalb der Straße heran. Die Peitschen der Aufseher surrten durch die Luft.
In der geräumigen Villa hoch über ihnen hatte Tarek als Kronprinz residiert. Jetzt wohnte dort jemand anders; zwei Wachen waren auf der Treppe postiert. Ihr früheres Haus, ein Stück weiter längs der Straße, stand offenbar leer. Ramses erkannte es an den Statuen auf der Terrasse, obwohl Bastet ihren Kopf eingebüßt hatte und Sobek umgestürzt war. Die Zierpflanzen in den riesigen Kübeln waren vertrocknet.
Er und Selim kletterten die brüchigen Stufen hoch, die Wächter dicht hinter ihnen. Der Eingang stand weit offen. Treibsand und verdorrte Palmwedel bedeckten den Boden der Eingangshalle, ein Vorhang hing zerfetzt im Durchgang.
Er drehte sich um und wandte sich an einen der Bewacher. »Hier wohnt niemand mehr?«
»Nein, Einzigartiger. Wie Ihr seht.«
»Es wird nicht bewacht.«
»Welchen Sinn hat es, ein leeres Haus zu bewachen?« Ramses inspizierte den Burschen genauer. Der herablassende Ton erinnerte ihn an Merasen. Auch war eine optische Ähnlichkeit vorhanden. Trotzdem mussten sie nicht näher verwandt sein; in der Oberschicht herrschte solch eine Inzucht, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie überhaupt noch Nachkommen hervorbrachte. Der elegante Federkopfputz und die Breite des Goldarmreifs ließen auf einen hochrangigen Offizier schließen. Nur das Beste für uns, dachte Ramses süffisant. Laut sagte er schroff: »Wenn ich eine Frage stelle, antwortet Ihr nur mit ja oder nein, ist das klar?«
Das matte Lächeln des Mannes verlor sich. »Ich … ja, Einzigartiger.«
»Wollen wir hineingehen?«, fragte Selim. »Drinnen ist es allerdings dunkel und ich habe meine Taschenlampe vergessen.«
»Ich auch. Ist nicht nötig.«
Sie marschierten noch ein, zwei Kilometer weiter. Auf diesem Stück standen nur ganz wenige Häuser, alle unbewohnt, die Straßendecke rissig zerfurcht. Sie liefen jetzt in westliche Richtung, bis die Allee einen weiten Bogen machte. Ihre Begleiter gingen langsamer und stoppten abrupt. Die Straße endete hier mit einer scharf ausgezackten Bruchkante.
Sie hatten den Pass erreicht. Genau vor ihnen klaffte eine etwa zwölf Meter breite Schlucht, dahinter setzte sich die Straße fort. Selim entfuhr ein verblüffter Laut. »Früher war sie durchgehend, Ramses, siehst du das? Da unten liegen die Überreste der Pfeiler, die den riesigen Brückenbogen stützten. Waren das geniale Architekten! Kann man heute wohl nicht mehr behaupten. Der Einsturz ist nicht neu, aber niemand hat sich um die Reparatur gekümmert.«
»Vermutlich fehlt ihnen die Initiative oder das Wissen.« Ramses griff zum Feldstecher. »Du hast übrigens Recht, Selim. Der Pass ist mit Geröll übersät, den Ruinen von Brücke und Pfeilern.« Fasziniert fokussierte er die gewaltigen Steinblöcke. In früherer Zeit hatten die Handwerker der entlegenen Oase den Pyramidenbauern Konkurrenz gemacht. »Ich sehe eine etwa drei Meter breite Senke, die mit kleineren Fragmenten gefüllt ist. Wenn Tarek sich dort
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