Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
ins gleißende Sonnenlicht trat, war auch der letzte Zweifel ausgeräumt. Unmöglich, dessen kraftstrotzende Gestalt und die saphirblitzenden Augen zu imitieren (auf dem Pylon hatte man sich große Mühe gegeben). Das Schweigen schlug in frenetischen Jubel um, und als ich mich über die Brüstung lehnte und meinen Sonnenschirm schwenkte, kannte die Menge kein Halten mehr.
»Geht nach Hause«, rief ich. »Geht mit unserem – ähm – wie lautet noch gleich die Übersetzung für ›Segen‹, Ramses?«
Langsam, widerstrebend zerstreute sich die Menge. Etliche starrten weiterhin gebannt zu der Fensteröffnung. Einige weinten.
»Und jetzt«, frohlockte Emerson, »befinden wir uns in einer ausgezeichneten Verhandlungsposition.«
Aus Manuskript H
Die Verhandlungen fanden in dem kleinen Thronsaal statt. Zekare ließ sämtliche Geschütze auffahren, weltlich wie geistlich – die Hohepriester des Aminre und der Isis, den Kommandeur der Palastwachen, den Großwesir sowie Hinz und Kunz, wie seine Mutter später anmerkte. Und Merasen. Zwei der Offiziere waren Söhne des Königs, große, soldatische Männer und augenscheinlich älter als Merasen. Alle trugen Festtagsstaat, die Priester jungfräuliches Weiß, der Kommandeur einen Helm, mit Federn besetzt wie ein Hahnenschwanz; wohin man blickte, schimmerte Gold, blitzten edle Steine.
Falls man sie damit beeindrucken wollte, hatte man sich verkalkuliert. Die beiden Priester tauschten giftige Blicke aus – jene Priesterschaften waren von jeher Gegner gewesen –, der Kommandeur fixierte Emerson unablässig. Merasen flanierte durch den Raum und brüstete sich damit, dass er die Einzigartigen zurückgebracht habe, die beiden älteren Prinzen beobachteten ihn mit Argusaugen.
Ramses hatte sich ursprünglich als Dolmetscher anbieten wollen – gut möglich, dass er Merasen damit eins auswischen wollte –, beschloss dann aber, seine Sprachkenntnisse nicht öffentlich zu demonstrieren. Man plaudert freimütiger, wenn man glaubt, dass man nicht verstanden wird, und er wollte eruieren, wie exakt Merasen ihre Fragen und die Antworten des Königs wiedergab.
Emerson begann mit einer kleinen Rede. Sie, die Einzigartigen, seien hocherfreut über die ihnen erwiesenen Ehrbezeugungen. Die kleinen Querelen der Königtümer kümmerten sie nicht im Geringsten; sie seien Wissenssucher und in erster Linie zum Heiligen Berg gekommen, um Zeichnungen und Photos zu machen. Diesen Begriff musste Merasen genauer erläutern, ansonsten war seine Übersetzung ziemlich korrekt. Die Antwort des Regenten, ein heftiges Nicken und ein wohlgefällig breites Grinsen, bedurfte keiner näheren Erklärung.
Falls der Bursche glaubte, wir machten es ihm so leicht, war er schief gewickelt. Emerson ging zum Geschäftlichen über. »Sobald wir unsere Arbeit beendet haben, reisen wir wieder ab. Und dafür werdet ihr uns eine Kamelkarawane bereitstellen.«
Diesmal mutete das Nicken weniger enthusiastisch an, das Grinsen verkniffener. Merasen äußerte sich unabhängig von Seiner Majestät. »Der König hofft, dass ihr lange bleiben werdet.«
»Kann ich auch ein paar Fragen stellen, Vater?«, wollte Ramses wissen.
Das zog sich hin. Merasens Übersetzung der königlichen Antworten wurde zunehmend ungenau und der Regent sichtlich ungehalten. Die Umstehenden hielten sich bis auf leises Gemurmel und gelegentliches Stirnrunzeln geflissentlich zurück.
Die Diskussion endete abrupt, als der Monarch aufstand. »Wir werden das vertagen. Ihr mögt jetzt gehen.«
Er stakste durch einen der verhängten Durchgänge hinter der Empore. »Soll heißen, wir sind entlassen«, knurrte Emerson. »Gehe ich recht in der Annahme, dass er noch irgendwas sagte, was Merasen nicht übersetzt hat?«
»Du bist ganz schön misstrauisch, Vater«, versetzte Ramses. »Ich erzähl’s euch nachher, wenn wir allein sind.«
Merasen war seinem Vater gefolgt, worauf die anderen nach und nach den Saal verließen. Der Kommandeur der Palastwachen richtete seine Männer zunächst in Reih und Glied aus. Als wäre ihm blitzartig eine Idee gekommen, schoss Emerson zu ihm.
»Gut, Eure Leute«, lobte er. »Ihr, guter Führer.«
Statt einer knappen Verneigung stand der Bursche stramm, wie ein Subordinierter vor einem General. »Ich kenne die Geschichten«, stammelte er. »Der Speer … mitten durch den Körper, bis er eine Handbreit hinter seinem Rücken wieder austrat. Harsetef hat es mir erzählt …«
Emerson, der nur ein paar Worte verstand, strahlte
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