Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
eingestellt; alle starrten uns an, indes drangen wir noch bis zu der inneren Kolonnade vor, ehe ein Priester uns beherzt anhielt und sich nach dem Anlass unseres Besuches erkundigte.
Nach einigen unzusammenhängenden Imperativen setzten wir ein paar erklärende Substantive hinzu und wurden in Kenntnis gesetzt, dass die fraglichen Gentlemen nicht im Tempel, sondern zu Hause anzutreffen seien. Offensichtlich überließen die hohen Herren die Tagesroutine ihren Subordinierten und setzten sich nur zu besonderen Gelegenheiten in Szene. Sichtlich erleichtert, dass wir den Rückzug antraten, begleitete der Priester uns und deutete auf die Anwesen der Hohepriester.
»Sie schließen die Männer wahrlich nicht in Felskammern ein«, bemerkte Emerson nach einem Kennerblick auf die repräsentativen Säulenportale und die blühenden Gärten. »Das ist Murteks früheres Haus; sein Nachfolger als Hohepriester der Isis hat es übernommen.«
Statt die Stufen zu der Villa hochzusteigen, lief er schnurstracks zurück zur Straße. Wir anderen waren völlig perplex – unser Begleiter nicht ausgenommen. Ich rannte ihm nach. »Emerson, was soll das jetzt wieder?«, japste ich atemlos.
»Ich will das Überraschungsmoment nutzen«, erklärte er lapidar. Er griff mir um die Taille und riss mich mit sich, abermals den Berg hinauf, am Palast vorbei und dann über eine steile Zuwegung in Richtung einer majestätischen, hoch über allem thronenden Villa. »Tareks Haus«, keuchte ich, denn Emerson zerquetschte mir fast den Brustkorb.
»Der ist mit Sicherheit nicht da«, erwiderte mein Gemahl. »Aber jemand anders und ich weiß auch wer. Ich will meine Waffen wiederhaben.«
Mehrere Individuen standen auf der Terrasse und spähten zu uns hinunter. Während wir weiterhasteten, drehte sich eines um und verschwand im Innern. Die anderen folgten seinem Beispiel und das war auch kein Wunder. Emerson, der mit der Kraft eines Taifuns voranstob, mich wie ein sperriges Paket in den Arm geklemmt, hätte selbst beherztere Zeitgenossen in Panik versetzt. »Wir stürmen«, brüllte er. »Habt ihr mich verstanden, Daoud? Selim?«
Ich war noch nie in dem Haus gewesen, das Tarek als Kronprinz bewohnt hatte, aber der Grundriss ähnelte dem anderer hochherrschaftlicher Anwesen: An die Terrasse schlossen sich mehrere Vorräume sowie ein Gang an, der nach rechts und dann scharf nach links bog.
Emerson preschte im Laufschritt weiter und scheuchte das flüchtende Personal in eine Empfangshalle, sehr hübsch mit Säulen und Fresken dekoriert. Einige wichen bis in den hintersten Winkel zurück und zeterten aufgebracht; andere entwischten durch die Vorhangtüren in den Wänden. Emerson setzte mich endlich ab.
»Du gehst da lang.« Er deutete auf eine der verhängten Türen und schob sich durch eine andere.
Der Raum, den ich betrat, war ein Schlafzimmer, luxuriös ausgestattet und bis auf zwei Diener, die schleunigst das Weite suchten, menschenleer. An der Möblierung fiel mir nichts Ungewöhnliches auf; die Kleidung, die sorgfältig gefaltet über dem Fußteil des Bettes hing, hätte die sein können, die Merasen am Vortag getragen hatte. Emerson hatte Recht; es war sein Haus. Ich wollte mich eben weiter umschauen, als mich ein triumphierender Aufschrei in die Empfangshalle zurücklockte, wo ich auf meinen Ehemann traf. Er hielt einen Mann im Genick gepackt, der sich verzweifelt aus der Umklammerung zu befreien suchte. Er trug ein Leinengewand und Flechtsandalen und ich erkannte ihn auf Anhieb, trotz seiner angstverzerrten Miene.
Es handelte sich um Captain Moroney, den Assistenten des damaligen Tierarztes.
Offen gestanden hatte ich ihn die ganze Zeit verdächtigt.
10. Kapitel
»Du wusstest es nicht!«, blaffte Emerson. »Sag jetzt nicht, du hast es die ganze Zeit gewusst!«
»Ich hatte Beweise –«
»Gegen alles und jeden!« Emerson ließ seinen vernichtenden Blick von mir zu Moroney gleiten und stieß diesen dann unsanft zu Boden. »Sie sind eine Beleidigung für das Militär, ein hinterhältiger Betrüger und ein Mörder. Was haben Sie selbst dazu zu sagen?«
Moroney setzte sich auf und rieb sich die Schulter. Nachdem die Gefahr der Strangulation vorüber war, hatte er sich gesammelt und verkörperte wieder den jungen sympathischen Offizier, wie ich ihn kannte.
»Von wegen Assistent des Tierarztes«, entrüstete ich mich. »Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne – von der Abendgesellschaft beim General, wo Wallis Budge über die Vergessene Oase
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