Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Daoud. Als der Professor nach einem langatmigen Vortrag endlich verstummte, nickte Selim und strich sich über den Bart.
»Soso. Klingt nach einem interessanten Abenteuer. Ihr könnt zwar vor Ort Arbeiter anwerben, trotzdem braucht ihr erfahrene Männer, die diese überwachen. Also, wie viele?«
Eine Droschke bot sechs Personen kaum genügend Platz, erst recht nicht mit einem Hünen wie Daoud, deshalb bat Nefret Selim, mit ihr gemeinsam zu reiten. Daoud hat ein einfaches Gemüt und so akzeptierte er unsere Erklärung, warum wir ohne David reisten, mit einem Nicken. »Ein Mann muss Geld verdienen, um eine Frau zu ernähren. Er wird hart arbeiten und sie glücklich machen. Wann feiern sie Hochzeit? Sie müssen unbedingt in Ägypten heiraten.«
Ich hörte ihm lächelnd und nur mit halbem Ohr zu, während er sich in glühenden Farben die Hochzeit ausmalte, dabei gelegentlich den Kopf zum Fenster hinausstreckte und lautstark herumposaunte, dass der Vater der Flüche zurückgekehrt sei. Emerson hatte wohl nichts dagegen, er genoss seine Popularität in vollen Zügen und begrüßte ständig irgendwelche alten Freunde aus seinem weitläufigen Kairoer Bekanntenkreis. Nach einem ziemlich hitzigen Gespräch drehte er sich zu Ramses und brüllte: »So viel zum Thema unauffälliges Auftauchen. Halb Kairo ist bereits informiert, dass wir in der Stadt sind, und der Rest weiß es bis spätestens heute Abend.«
Hellhörig geworden, verkündete Daoud: »Die Präsenz des Vaters der Flüche ist wie der Sonnenaufgang über der Wüste. Selbst ein Blinder spürt die Aura, die du verströmst.«
»Pah«, brummte Emerson.
Wir schlenderten zu den Docks von Boulaq, wo die Amelia mit einigen anderen Hausbooten vor Anker lag. Es waren nicht mehr so viele wie in den vergangenen Jahren, da die privaten Dahabijen allmählich aus der Mode kamen. Cook’s Dampfer und der Bahnverkehr sorgten für einen florierenden Tourismus, was ich nicht unbedingt positiv fand. Die einstmals beschaulichen Bildungsreisen durch das faszinierendste Land der Welt waren straff organisierten Blitzbesuchen zum Opfer gefallen, man hatte wenig Zeit für die Sehenswürdigkeiten und kaum Kontakt zu der Bevölkerung. Die Reiseteilnehmer von Cook’s scharten sich wie eine blökende, meckernde Schafherde um ihre jeweiligen Führer. Sie aßen englisches Essen, logierten in Hotelzimmern mit englischen Möbeln, sprachen ausschließlich Englisch, beschwerten sich ständig und feilschten gnadenlos mit den Einheimischen, die nur ein paar Pennies zum Leben hatten. Ich muss gestehen, dass ich einen Mordsspaß hatte, als ich einen solchen Touristentrupp erspähte – schwer umlagert von hartnäckigen Bettlern, aufdringlichen Souvenirverkäufern und lästigen Eseltreibern.
Fatima erwartete uns schon. Sie hatte wie üblich Rosenblüten in die Waschschüsseln gestreut.
Nach einer Woche Kairo hatten wir unsere Einkäufe getätigt. Von Merasen fehlte noch jede Nachricht.
»Wo mag der Junge bloß stecken?«, überlegte ich laut, während wir uns für einen kleinen Einkaufsbummel umzogen. Ich brauchte einen neuen Schirm und Emerson ein weiteres Paar Stiefel. »Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Ich hab dich doch ausdrücklich darum gebeten, ihn bei einem unserer Bekannten in Kairo unterzubringen.«
»Nein, hast du nicht«, schnaubte Emerson. Er war keineswegs der Auffassung, dass er neue Stiefel brauchte. »Je weniger Kontakt zu unseren Bekannten, umso besser, hast du gesagt.«
Er hatte Recht. Das hatte ich tatsächlich gesagt.
»Merasen sollte aber doch eine Nachricht für uns hinterlegen, dass er wohlbehalten in Kairo angekommen ist.«
»Ich hab ihn gebeten, diese im Shepheard’s abzugeben, da ich annahm, dass wir dort logieren würden. Wie du sehr wohl weißt, wurde ich vom Hotel informiert, dass bislang nichts dergleichen vorliegt, andernfalls bekommen wir umgehend Bescheid.«
»Bist du sicher, dass Merasen dich richtig verstanden hat?«, fragte Nefret skeptisch. Sie und Ramses gingen nicht mit uns. Nefret hatte eine ungemein interessante Dame kennen gelernt, eine Ärztin aus Syrien, und hoffte diese von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Unsere herzensgute Adoptivtochter plante die Eröffnung einer Klinik, die den bedauernswerten Kairoer Prostituierten medizinische Hilfe anbot. Sie betrachtete sich im Spiegel, tippte behutsam an ihren Hut, zog eine Grimasse und schob ihn wieder auf die andere Seite.
»Wir brauchen ihn doch eigentlich gar nicht.« Ramses fläzte sich
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