Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
katapultierte die Waffe aus Merasens Hand. Sie landete im Morast der Straße und der junge Archäologe stellte einen Fuß darauf.
»Verdammt noch mal, was soll der Blödsinn?«, brüllte er. Merasen massierte seine schmerzenden Finger und musterte Ramses aus vorwurfsvollen schwarzen Augen. »Es war nur ein Spiel. Um zu sehen, ob Ihr mit dem Messer so gut seid wie mit den Händen. Ich wollte Euch nicht verletzen. Es war ein Unfall!«
Nefret schob Selim beiseite. »Ramses, bist du verletzt?«
»Den Anzug hat es erheblich schlimmer getroffen als mich«, entgegnete Ramses säuerlich. »Mutter wird wieder mal toben.«
Nefret inspizierte den Ärmel und entdeckte lediglich ein paar Blutspritzer auf dem hellen Jackenstoff. Darauf packte Ramses Merasen am Kragen seiner Galabija und riss ihn hoch.
»Der Finger ist bestimmt gebrochen«, lamentierte Merasen und wackelte mit dem Daumen.
»Versucht das noch mal, mein feiner junger Freund, und ich brech Euch sämtliche Knochen«, zischte Ramses.
»Tut mir Leid«, meinte Merasen aufrichtig. »Es war nur ein –«
»Zum Kuckuck mit Euren Spielchen«, fauchte Nefret. »Zeigt mir mal den Daumen … Er ist nicht gebrochen, nur verstaucht. Ich möchte, dass Ihr jetzt schnurstracks die Dahabije aufsucht und Euch beim Vater der Flüche meldet. Habt Ihr mich verstanden?«
»Oh ja.« Merasen strahlte wie ein Unschuldsengel.
»Nie im Leben.« Ramses packte ihn fester. »Ich liefere Euch persönlich dort ab, mein Bester. Selim kann dich begleiten, Nefret.«
Selim hob Merasens Waffe auf, bevor ein Gelegenheitsdieb ihm zuvorkam. Sie hätte einen guten Preis erzielt; die Klinge war aus blitzendem Stahl, der Knauf goldverziert. Merasen grapschte danach, worauf Ramses ihm den Arm hinunterschlug.
»Verflucht noch mal«, knirschte er. »Wie lange tragt Ihr die schon mit Euch herum? Wenn die in die falschen Hände geraten wäre …«
Vermutlich war das bereits der Fall. Selim hatte die Klinge blank gewischt und inspizierte sie interessiert. »Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen, Ramses. Zu lang für ein Messer, zu kurz für ein Schwert und ungemein kunstvoll verziert. Wer ist dieser Mann und woher kommt er?«
»Ich mach euch später miteinander bekannt«, wich Ramses aus. »Geh mit Nefret.«
»Vielleicht sollten wir dich und Merasen besser zum Hausboot begleiten«, meinte Nefret unschlüssig.
»Doktor Sophia erwartet dich. Glaub mir, Nefret, ich schaff das schon allein. Merasen, ich brech Euch den Arm, wenn Ihr mir Ärger macht.«
Merasen unternahm keinerlei Anstalten, Ramses zu entwischen. Er war bester Laune und nicht die Spur schuldbewusst – wie ein kleiner Junge, der jemanden mit einem Schneeball getroffen hat.
Vielleicht waren solche Rangeleien in Nubien an der Tagesordnung und ihm damals entgangen, überlegte Ramses. Aber in den meisten Kulturen, mit denen er vertraut war, griff man nicht ohne Vorwarnung und mit einer scharfen Klinge an, es sei denn, man wollte jemanden verletzen.
Er hatte Selim gebeten, das Stilett-Messer verschwinden zu lassen, zumal sich eine Galabija besser für solche Zwecke eignete als eine europäische Hose. »Sei vorsichtig, dass du dir nicht gleich das Bein abtrennst«, hatte er hinzugesetzt und Nefret hatte lachend gemeint: »Oder sonst was. Wenn wir bei Doktor Sophia sind, bastle ich eine nette kleine Verpackung dafür, Selim.«
Sie hatte Merasens Finger untersucht, sich aber nicht der Mühe unterzogen, einen Blick auf Ramses’ Arm zu werfen. Was hast du denn erwartet, wies Ramses sich selber zurecht – dass sie zu dir eilt, in Tränen aufgelöst, weil sie dein Blut sieht? Nein, nicht Nefret – es war schließlich nicht das erste Mal –, trotzdem hätte sie zu ihm ein bisschen netter sein und mit Merasen um einiges härter umspringen können.
»Wo habt Ihr gewohnt, Prinz?«, unterbrach er Merasen, der ihm eben seine Meinung über Kairo kundtat (zu groß, zu schmutzig, alle Frauen verstecken sich hinter Schleiern). »Wir könnten Eure Sachen dort abholen, bevor wir zum Hausboot gehen.«
Ramses kannte die Unterkunft, eine der besseren Pensionen für »Einheimische«. Merasen stolperte los, um seinen Koffer zu holen, und der Besitzer begrüßte Ramses geschäftstüchtig und nicht im Geringsten erstaunt. »Er hat gesagt, ihr würdet kommen – du oder der Vater der Flüche«, erklärte er.
»Hat er das?«
»Er hat auch gesagt, der Vater der Flüche würde zahlen.«
Merasen kehrte mit einem riesigen Koffer zurück, den Emerson ihm
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