Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
gemildert. Ich lächelte stillvergnügt über sein unverbesserliches Lamentieren. »Sie lächelt«, hörte ich Nefrets Stimme.
»Weck sie nicht.« Emersons Gegrummel war der Versuch zu flüstern.
»Die Hitze scheint ihr arg zuzusetzen.« Ramses klang besorgt. »Vater, kannst du sie nicht überzeugen, am Gebel Barkal zu bleiben, statt –«
»Mit Sicherheit nicht«, sagte ich und setzte mich auf. »Wie viel Uhr ist es?«
Eine einsame Öllampe mit einem gesprungenen, verrußten Schirm warf gespenstische Schatten auf die Gesichter meiner Lieben.
»Zeit für eine kleine Stärkung«, erwiderte Emerson, elegant meine Frage übergehend, wie lange diese Ruckelpartie noch dauern sollte. »Wir haben nur noch auf dich gewartet, mein Schatz. Prima Idee von dir, Reiseproviant einzukaufen.«
»War mir klar, dass ihr das vergesst«, konterte ich. »Haben sich Selim und die anderen schon davon bedient?«
Ramses nickte und wir machten uns mit gesundem Appetit über das Essen her. »Du siehst viel besser aus, Tante Amelia«, bemerkte Nefret. »Du hast im Schlaf gelächelt. Hattest du einen angenehmen Traum?«
»Sehr angenehm, Liebes. Ich sah –«
Mir versagte die Stimme, worauf Ramses mir spontan eine Tasse Tee reichte. Während ich daran nippte, überlegte ich mir die Sache anders. Nein, ich durfte diesen Traum und seine Wirkung auf mich nicht preisgeben. Man würde mich als sentimentale Närrin abstempeln, wenn ich Abdullah erwähnte. Nachher tätschelte Emerson mir womöglich tröstend den Kopf. Er meint es nur gut, aber er streichelt ziemlich zupackend und ruiniert mir die Frisur.
»Ich habe von Luxor geträumt«, erklärte ich. »Von den Bergen über Deir el-Bahari. Die Luft war zauberhaft klar und kühl und die Sonne ging auf.«
Emerson räusperte sich geräuschvoll. »Bald sind wir ja wieder dort, liebste Peabody. Versprochen.«
Er tätschelte mir den Kopf. »Autsch«, entwich es mir.
Die eintönige Reise zog sich hin. Ich döste friedlich in Emersons Umarmung. Nefret hatte sich in ihrem Sitz zusammengekauert und den Kopf in Ramses’ Schoß gebettet. Er las – jedenfalls tat er so – in der schwachen Beleuchtung, blätterte aber eher selten eine Seite um.
Endlich wich die Dunkelheit einer zarten Morgenröte. »Da ist er!«, brüllte Emerson mir ins Ohr. »Gebel Barkal, der Heilige Berg!«
Das war glatt gelogen. Der riesige Bergtempel der alten Kuschiten war noch kilometerweit entfernt. Immerhin fuhr der Zug jetzt langsamer und warum sollte ich Emersons lebhafte Phantasie kritisieren?
Ramses schloss das Buch und legte Nefret sanft eine Hand auf die Schulter. Sie murmelte schläfrig und drehte den Kopf, ihr Gesicht rosig vom Schlaf.
»Wach auf«, sagte Ramses. »Wir sind gleich da. Wie fühlst du dich, Mutter?«
»Großartig«, versicherte ich ihm. »Und was jetzt, Emerson?«
»Alles bestens«, tönte Emerson stolz. »Du erinnerst dich an meinen alten Freund –«
»Sag jetzt nicht Mustapha, Emerson! Ich hatte so gehofft, er wäre mittlerweile verstorben!«
»Peabody!«
»Ich meine … ich wollte sagen … ich dachte nur, es ist schon so lange her … da muss er doch inzwischen zwangsläufig tot sein, oder?«
Ramses hatte sich abgewandt und hielt sich heimlich den Mund zu. Er erinnerte sich an Mustapha und meine bissigen Kommentare über die Vorstellungen dieses Herrn von einer komfortablen Unterkunft. Ein Zelt in der Wüste oder eine Höhle in den Bergen wäre – verglichen mit Mustaphas Haus – eine Nobelherberge gewesen.
»Öh«, meinte Emerson. »Nö, ist er nicht. Da ist er ja, auf die Minute pünktlich. Ein Pfundskerl, dieser Bursche!«
Die Jahre schienen spurlos an Mustapha vorübergegangen zu sein, vermutlich, weil er damals schon genauso faltig und klapperdürr und schmuddelig ausgesehen hatte. Er freute sich so sehr über das Wiedersehen, dass man den alten Kerl nicht hätte enttäuschen mögen. Mit Tränen in den Augen umarmte er Emerson und verbeugte sich vor mir. Er rühmte Nefrets Schönheit und Anmut, musterte Ramses, der seinerzeit erst zehn Jahre alt gewesen war, verwundert und ließ dann einen Schwall von Komplimenten los, die mir nicht neu waren. »Genau wie der ehrenwerte Vater! Groß und stattlich und stark, erfreut er die Frauen mit seiner –«
»Ganz recht«, hüstelte Emerson. »Wie ich sehe, Mustapha, hast du ein paar kräftige Burschen zum Anpacken mitgebracht. Das sind unser Rais Selim und seine Cousins Daoud und Ali.«
Kareima war die Endstation. Ich beobachtete, wie
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