Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels

Titel: Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
Vom Netzwerk:
eine Retourkutsche aber verkniff. »Wie lange dauert die Fahrt?«, fragte ich Emerson hellhörig geworden.
    »Ungefähr zehn Stunden, länger nicht.«
    »Weck mich, wenn wir da sind«, wies ich ihn an. Wegen des unablässigen Ruckelns und der unerträglichen Hitze dachte ich, ich könnte nicht einschlafen. Und doch befand ich mich bald an einem anderen Ort, ein Ort, den ich gut kannte. Ein kühler Lufthauch streifte mein Gesicht und der Himmel war in ein zartes, durchschimmerndes Blau getaucht. Hinter mir ging die Sonne auf, denn ich strebte nach Westen – zu den thebanischen Bergen, mit den beeindruckenden Ruinen von Deir elBahari zu meiner Linken, vor mir der gewundene Pfad, der zu dem Felsplateau hinaufführte und weiter zum Tal der Könige. Ich fing an zu klettern, wie schon viele Male zuvor. Der Aufstieg ist steil und ich atmete schwer, als ich den höchsten Punkt erreichte. Und dort kam mir federnden Schrittes ein Mann entgegen, groß und gestählt, mit kohlschwarzem Bart und wallender Galabija, sein Turban schneeweiß.
    »Dreh dich um, Sitt, und betrachte den Sonnenaufgang«, sagte er.
    Ich presste eine Hand auf mein Herz. Es klopfte wie ein Trommelwirbel und das nicht wegen der anstrengenden Kletterpartie. »Abdullah, bist du es wirklich? Du siehst so jung aus!«
    Wenige Schritte von mir entfernt blieb er stehen und grinste, seine Zähne blendend weiß in der tiefschwarzen Barttracht. »Ob jung oder alt, die Zeit ist hier ohne Bedeutung, Sitt. Du wandelst in einem Traum. Wusstest du das nicht?«
    »Mein schönster Traum seit Monaten«, erwiderte ich im Brustton der Überzeugung. Freude erfüllte mich wie ein übersprudelnder Quell, ließ keinen Raum für Trauer, Verblüffung oder Zweifel. Ausgelassen lachend streckte ich die Hände nach ihm aus. Als er grinsend den Kopf schüttelte, schwante mir, dass ich weder näher kommen noch ihn berühren durfte.
    »Dreh dich um, Sitt«, wiederholte er. »Und wir werden den Sonnenaufgang wieder gemeinsam betrachten.«
    Diese Erinnerung verband mich am stärksten mit Abdullah, denn mit den Jahren und dem Älterwerden war ihm der Aufstieg zunehmend schwer gefallen. Da er das nie zugegeben hätte, hatte ich so getan, als müsste ich auf dem Plateau kurz Halt machen, um wieder zu Atem zu kommen. Erst dann waren wir den anderen ins Tal zu unseren Exkavationsstätten gefolgt. Es war immer wieder ein erhebendes Erlebnis, wenn der weich konturierte Sonnenball über die östlichen Bergrücken und den Fluss schwebte, die ersten wärmenden Strahlen über sprießende Felder und gekräuseltes Wasser, über Tempelruinen und neuzeitliche Dörfer huschten. Und ich hatte so manches Mal darüber nachgedacht, dass es im Falle einer Wiedergeburt kein schöneres Fleckchen Erde für mich gäbe.
    Ich drehte mich gehorsam um und bemerkte, wie er hinter mich trat. Er flüsterte irgendetwas, das wie ein Gebet klang, und ich sagte: »Bist du ein Anhänger des Sonnenkults, Abdullah? Und ich dachte immer, du bist nicht gläubig.«
    »Nicht mehr und nicht weniger als du, Sitt Hakim.
    Aber lass uns nicht über Glaubensfragen diskutieren, das wäre vertane Zeit. Was hat dich auf diesen Weg geführt, dem du jetzt folgst? Kehre um, bevor es zu spät ist.«
    »Demnach bist du zurückgekehrt, um mich zu warnen, stimmt’s?«
    »Ja. Aber das ist vermutlich auch vertane Zeit«, meinte Abdullah griesgrämig. »Du befolgst keine Warnungen.
    Du liebst die Gefahr.«
    »Es war nicht meine Idee«, versetzte ich und lachte wieder, denn sein Schelten und meine Sturheit waren so herrlich realistisch, ganz wie früher. Impulsiv drehte ich mich zu ihm um. Er wich ein paar Schritte zurück. »Warum lachst du wie ein leichtfertiges Mädchen, statt auf mich zu hören?«
    »Weil ich so froh bin, dich wiederzusehen. Du hast mir gefehlt, Abdullah.«
    »Ah. Hmmm.« Er strich sich über den Bart und versuchte, ernst zu bleiben. »Die mir zugeteilte Zeit ist fast verstrichen, Sitt. Wenn du nicht umkehren willst, so sieh dich wenigstens vor. Vertraue niemandem, auch keinem harmlosen Unbeteiligten. Du wirst von Widersachern verfolgt und es sind mehr, als du glaubst.«
    Die kühle morgendliche Brise war drückender Hitze gewichen. Ich spürte Emersons Arm um meine Schultern und sein verschwitztes Baumwollhemd unter meinem Kinn. Die Vision war so phantastisch gewesen, dass ich sie nur ungern schwinden sah. Ob Vision oder Traum – oder steckte sogar mehr dahinter? –, jedenfalls schien der tiefe Schmerz um Abdullahs Tod merklich

Weitere Kostenlose Bücher