Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Ich fühlte mich wieder putzmunter, aber Emerson war nicht nach Konversation, also ritten wir eine ganze Weile schweigend nebeneinanderher. Ich begnügte mich damit, sein markantes Profil und die schwarzglänzenden Haare zu bewundern. Einmal hielten wir an, um unsere steifen Glieder zu recken und um einen Schluck Wasser zu trinken, dann ritten wir weiter … und weiter … und …
Eine Hand umschloss schmerzhaft meinen Oberarm. »Jetzt schlägt’s aber dreizehn, Peabody!«, erregte sich Emerson. »Wenn du einschläfst, fällst du von diesem vermaledeiten Kamel. Komm, steig bei mir auf.«
»Nein, danke«, lehnte ich ab. Allein bei der Vorstellung kehrte sämtliche Energie in meinen Körper zurück. Wenn es etwas Unbequemeres als einen Kamelritt gibt, dann ist es ein Kamelritt zu zweit. »Ich bin wieder hellwach. Bin nur kurz eingedöst. Danke, dass du auf mich aufgepasst hast, mein Schatz.«
»Ich wollte dir gerade etwas Interessantes zeigen. Schau mal, dort drüben.«
Sie wirkten beinahe durchschimmernd, perlweiß im gleißenden Mondlicht – ein Haufen achtlos hingeworfener Knochen. Die Überreste kleinerer Tiere wie Gazelle, Hase und Antilope sah man überall, aber diese hier waren von größerem Kaliber und von irgendwelchen Beutejägern abgenagt. Als wir näher kamen, reflektierte der Sternenschein gespenstisch zwinkernd in den leeren Augenhöhlen.
»Ein Kamel?«
»Ja, aber nicht irgendeins«, erwiderte Emerson. »Sondern eins von unseren Kamelen. Besser gesagt, früher einmal eins von unseren. Das erste, das eingegangen ist.«
»Kein gutes Omen, Emerson«, seufzte ich.
»Doch, Peabody. Es ist ein gutes Zeichen. Wir sind auf dem richtigen Weg.«
Wir ließen den Knochenhaufen hinter uns und ritten bis zum Morgengrauen. Wir kamen besser voran als auf unserer ersten Expedition, trotzdem ließ Emerson nicht anhalten. Die Sonne erhob sich hinter uns, ließ unsere Schatten uns vorauseilen. Ramses schloss zu uns auf.
»Vater. Sieh mal.«
Zunächst war es nur eine blassgelbe Sandverwehung, die sich rasch zu einer voranwirbelnden Wolke ausdehnte.
»Ist das ein Sandsturm?«, erkundigte ich mich mit angehaltenem Atem.
»Schlimmer«, entgegnete Ramses.
»Hast du eine Ahnung, wie viele es sind?«, wollte sein Vater wissen.
»Nein. Sie sind noch zu weit weg.«
»Hmpf«, knurrte Emerson. Er zerrte heftig an dem Kopfstrick seines Kamels, bis es sich widerstrebend umdrehte. »Du weißt, was du zu tun hast.«
»Jawohl, Sir.« Ramses setzte sein Reittier in Bewegung und trottete ans Ende der Karawane.
Ich bin absolut gegen Tierquälerei, aber bei Kamelen hilft bisweilen nur sanfte Gewalt. Unsere Männer hatten den aufgewirbelten Sand ebenfalls bemerkt und wussten, was das bedeutete. Mit Schlägen und Schreien brachten sie die störrischen Viecher dazu, einen Halbkreis zu bilden und in die Knie zu gehen.
»Ganz wie im Wilden Westen, hm?«, sagte ich zu Nefret. »Kamele statt Planwagen, aber das Prinzip ist das Gleiche –«
»Runter mit dir, Peabody«, schimpfte Emerson. Wie zur Bekräftigung seiner Worte versetzte er mir einen kleinen Schubs, worauf ich automatisch in die Knie ging. »Und pass auf dich auf.«
»Gib mir auch einen von den Revolvern«, maulte ich. Inzwischen erkannte ich schemenhaft Reiter in dem aufwirbelnden Dunst.
»Nie im Leben«, schnaubte Emerson. »Selim, Daoud, hier, zu meiner Rechten. Ramses, bist du bereit?« Die bewaffneten Männer knieten sich hinter die Kamele, ihre Waffen schussbereit. Die meisten hatten Gewehre, einige der Beduinen prahlten mit ihrer Treffsicherheit. Gleichwohl waren ihre Waffen ziemlich alt, um nicht zu sagen museumsreif, und unsere Gegner dramatisch in der Überzahl. Ich kroch neben Emerson und zog meine kleine Pistole.
»Es wird nur geschossen, wenn ich das Kommando gebe.« Emerson wiederholte die Anweisung auf Arabisch. »Das gilt auch für dich, Peabody. Ziel hoch, über ihre Köpfe hinweg. Offen gestanden, Amelia, solltest du überhaupt nicht schießen. Fertig? Los.«
Eine zerrissene Gewehrsalve ließ die klare Luft erbeben. »Noch einmal«, rief Emerson.
Nach der zweiten Salve verlangsamten sie, aber der Anführer ritt näher. Er schwenkte eine Waffe – kein Gewehr, sondern ein Langschwert. Sollte das etwa ein Nahkampf werden? Nefret tastete bereits instinktiv nach dem Griff ihres Messers. Ich überlegte kurz, ob Emerson wenigstens die Güte besaß, mich zu erschießen, bevor ich in Feindeshand geriet. Ob ich es über mich bringen könnte, Nefret zu
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