Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
westlichen Wüste. Sie nehmen Sklaven«, raunte Ramses uns zu. »Dieser Bursche mag zwar einer von Vaters alten Freunden sein, trotzdem sollte man ihn nicht mit einer reizenden Jungfrau wie dir in Versuchung führen. Los, ab ins Zelt.«
»Aber –«
»Mutter, nimm sie mit, sonst passiert was.«
»Ja, ja. Komm Nefret. Wir blinzeln einfach durch die Segeltuchschlitze.«
Wir waren eben im Zelt verschwunden, als Emerson mit seinem »Gast« das Camp erreichte. Als Nefret Letztgenannten bemerkte, entspannte ihre besorgte Miene. Mittelgroß, dunkelhäutig wie ein Nubier und dünn wie ein Wüstenschakal wirkte er optisch nicht sonderlich beeindruckend, dennoch hatte er etwas Bedrohliches an sich – die Aura eines gewissenlosen Mannes.
Er schien gnädiger Stimmung, seine bärtigen Lippen umspielte ein Grinsen; sobald er sich jedoch auf dem Teppich niedergelassen und ein Glas Tee in Empfang genommen hatte, glitten seine Augen forschend über das Lager, als taxierte er die Männer und unsere Ausrüstung. Darauf fixierte er Ramses, der mit gekreuzten Beinen neben ihm hockte.
»Dein Vater erzählte mir, dass du mir das Schwert aus der Hand geschossen hast. Ein Zufallstreffer.«
»Ich treffe, was ich treffen will«, brüstete sich Ramses mit einem herablassenden Blick auf den Fremden. »Genauso gut hätte ich dir die Kugel durch den Kopf jagen können. Es war klug von dir zu kapitulieren.«
Es war sonst nicht seine Art zu prahlen, aber mit vornehmer Bescheidenheit kommt man bei Arabern nicht weiter. Der Mann, den Emerson als Kemal vorgestellt hatte, fasste die Antwort mit einem Nicken auf und grinste.
»Der Anblick deines Vaters hat mich abgelenkt, Junge. Sie hatten mich nicht informiert, dass es seine Karawane war.«
»Wer hat dich angeworben?«, wollte Emerson wissen. »Ein Ehrenmann gibt seinen Auftraggeber nicht preis«, lautete die ausweichende Antwort. »Strikte Geheimhaltung war Teil der Vereinbarung.«
»Völlig überflüssig«, meinte Emerson lapidar. »Wenn ihr uns ohnehin alle umbringen solltet.«
»Aber nein, Vater der Flüche, das hatten wir nie vor.« Er sah Emerson mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. »Man hat uns lediglich erklärt, dass ihr Geld habt – viele Kamele – Waffen – und andere verlockende Schätze.«
Er spähte zu den Zelten – geradewegs zu unserem Versteck. Ramses versteifte sich und Emerson raunte ihm auf Englisch zu: »Sieh bloß nicht so demonstrativ hin.« Zu Kemal meinte er: »Dann solltet ihr diese … Schätze als Belohnung bekommen? Dafür, dass ihr uns alle abmurkst?«
»Aber ich sagte dir doch bereits, Vater der Flüche, ich hatte keine Ahnung, dass es deine Karawane ist.« Der Fremde grinste scheinheilig. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich meinen Auftraggeber um Vorkasse gebeten.«
»Und nun?«
»Wir würden euch letztlich gewiss überwältigen, aber vorher hättet ihr etliche von uns umgebracht.« Gedankenvoll spitzte er die Lippen. »Ich frage mich wirklich, ob der Preis nicht zu hoch ist.«
»Allmählich wird es langweilig«, meinte Emerson an Ramses gewandt. »Und die Zeit läuft uns davon. Hast du eine Vorstellung, was er will?«
»Geld.«
»Das ist mir schon klar. Die Frage ist nur, wie viel?«
Er drehte sich erneut zu seinem Gast um und schüttelte den Kopf. »Mein Sohn ist ein junger Hitzkopf. Wenn deine Männer uns angreifen, beteuert er, bist du der Erste, der sterben wird. In Anbetracht unserer alten Freundschaft würde ich das bedauern.«
»Ich auch«, meinte Kemal mit frappierender Offenheit. Seine Augen glitten zu Ramses, der ungerührt zurückstarrte. »Hmmm. Vielleicht finden wir zu einer einvernehmlichen Lösung.«
Nach einigem Hin und Her folgte eine barbarische kleine Zeremonie. Auf Emersons Bitte hin gab Ramses ihm sein Messer. Mein Gatte ritzte sich mit der Klinge die Handfläche ein und reichte das Messer an Kemal weiter, der seinem Beispiel folgte. Sie drückten einander die Hand und hielten diese einige Sekunden lang umklammert, so vermischte sich beider Blut. Dann gab Kemal das Messer an unseren Sohn weiter, gleichsam als stumme Aufforderung. Ramses warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. Emerson, der sich die blutverschmierte Hand an der Hose abwischte, nickte und verfolgte wohlwollend, wie der Bandit und Ramses ebenfalls Blutsbrüder wurden. Dessen angewiderter Blick sprach Bände.
»Im Namen des allmächtigen Herrn«, verkündete der Plünderer frömmlerisch. Erneut sondierte sein Blick das Lager. Ich konnte
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