Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
war die mit dem Becher – versuchte hartnäckig, Daria zu verscheuchen, doch ich beharrte darauf, sie bei mir zu behalten, und setzte mich durch.
»Sie behandeln dich mit großem Respekt«, murmelte sie, als eines der Mädchen mir einen Goldreif anlegte.
»Anscheinend gibt es hier nur eine Position für mich«, murmelte ich mit einem schiefen Lächeln.
»Ich mach mir nur fürchterlich Sorgen um die anderen. Wenn sie lediglich wollen, dass ich wieder –«
»Aber du besitzt Macht. Sie gehorchen dir. Du kannst dich für deine Familie einsetzen.«
»Das hoffe ich.«
Inzwischen hatte man mir den kostbaren Goldschmuck angelegt. Ich war nahezu bewegungsunfähig unter dem ganzen Gewicht: Der Kragen drückte auf meine Schultern, die Armreifen wogen schwer an meinen Handgelenken. Dann wurden hauchzarte weiße Schleier um mich drapiert, Haare und Gesicht damit verhüllt. Steif wie eine Puppe wurde ich in den Nebenraum und zu einem thronähnlichen Sitzmöbel geführt. Daria folgte mir ungehindert und stellte sich hinter den Sessel. Ich war heilfroh, dass sie bei mir war und die Nerven behielt. Andererseits hätte ich es ihr nicht verdenken können, wenn sie den Kopf verloren hätte.
Durch den Gesichtsschleier nahm ich meine Umgebung nur schemenhaft wahr. Der Mann, der den Raum betrat, war zunächst nur ein konturloser Schatten; erst als er näher kam, realisierte ich, dass er sich, gebeugt vom Alter, auf einen Stock stützte. Zur Verblüffung der Zofen, die sich rechts und links des Sessels aufreihten, sprang ich auf.
»Murtek! Seid Ihr es wirklich?«
Ich hatte Englisch gesprochen. Er antwortete auf Meroitisch. »Der ehrenwerte Hohepriester Murtek ist vor langer Zeit heimgekehrt zu den Göttern, Erhabene. Ich bin Amase, Hohepriester der Isis, Erster Prophet des Osiris.«
Richtig, Murtek war schon damals ein alter Mann gewesen. Wieder fühlte ich mich schrecklich einsam.
»Dann möchte ich von Euch wissen, warum ich nicht mehr bei meinen Freunden bin. Wo sind sie? Was hat man mit ihnen gemacht?«
»Die Einzigartigen? Sie leben in dem Haus, wo ihr auch wart, bevor man Euch an Euren angestammten Platz zurückbrachte. Ihnen fehlt es an nichts, sie werden wie Ehrengäste behandelt und haben Muße.«
Unvermittelt hatte ich einen hysterischen Lachkrampf. Ihre »Muße« konnte ich mir bildhaft vorstellen: der Professor fluchend und fäusteschwingend, Tante Amelia mit wehrhaft gezücktem Schirm und Ramses … Nein, der zeigte nach außen hin keine Regung, nicht Ramses; er würde überlegt planen und handeln.
»Hat man ihnen gesagt, wo ich bin?«
»Sie sind jetzt beim König, Erhabene.«
»Ich möchte zu ihnen. Ich will den König sehen. Bringt mich auf der Stelle zu ihnen.«
Mir war natürlich klar, dass man meinen Forderungen nicht nachgeben würde. Stattdessen hielt der alte Herr eine weitschweifige, mit vagen Andeutungen gespickte Rede, deren Hintersinn ich letztendlich jedoch begriff. Die Göttin sollte wieder in ihren leeren Schrein zurückgebracht werden – von niemand anderem als von mir. Und er wollte mich bei den Vorbereitungen für das Zeremoniell unterstützen, das ohne Zwischenfall verlaufen musste.
Er erwähnte mit keinem Wort, was passieren würde, wenn ich einen Fehler machte – eine göttliche Vergeltungsmaßnahme, einer von Isis’ weniger angenehmen Zügen?
Ich verharrte schweigend, mein Verstand raste, während er tief verneigt zurücktrat. Ich war durchaus willens, die Zeremonie durchzuführen, vorausgesetzt, ich erinnerte mich noch an die Details; aber wieso war Tarek nicht einfach zu mir gekommen und hatte mich darum gebeten, seine kleine Schwester, seine Freundin und Vertraute?
»Wartet!«, sagte ich scharf. Der betagte Gentleman blieb ruckartig stehen und ich fuhr fort: »Der Horus Tarekenidal ist mein Bruder. Ich werde die Göttin zurück in ihren Schrein bringen, sobald ich ihn gesehen und gesprochen habe.«
Amase rang die Hände. »Sprecht diesen Namen nie wieder aus! Es ist verboten, er existiert nicht! Der Horus ist Mankhabale Zekare.«
»Was ist mit Tarek geschehen?«
Der alte Mann hielt sich die Ohren zu – weil er den verbotenen Namen nicht hören wollte oder weil ich aus Leibeskräften brüllte. Er humpelte hinaus. Ich packte die mir am nächsten stehende Zofe an den Schultern und schüttelte sie, dass ihre Schleier wild flatterten. »Was ist mit ihm? Ist er tot? Antworte mir!«
»Nein, nicht tot«, stammelte sie. »Fort.«
»Wo?«
»Weit weg von hier. Erhabene, bitte – du
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