Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
Peabody. Rat mal, was ich für dich hab.«
Ich wünschte, ich hätte das Kompliment zurückgeben können. Immerhin hatte er sich die Hände gewaschen. Ich brachte es nicht übers Herz, seine »Überraschung« richtig zu erraten. Er hatte nämlich den ganzen Nachmittag tapfer ein Lächeln aufgesetzt, das inzwischen wie angeklebt wirkte.
»Aber Emerson, was mag das wohl sein!« Ich kicherte mädchenhaft verzückt und klatschte in die Hände, als Emerson … eine Flasche Whisky hervorzauberte.
»Ich hab ihn die ganze Zeit aufgehoben«, erklärte er. »Und heute Abend genehmigen wir uns einen, was Ramses?«
»Ja, Sir, gern.«
Wir machten es uns gemütlich. Selim und Daoud tranken Tee. Emerson prostete uns zu: »Auf ein erfolgreiches Ende unserer Mission. Kann ich jetzt endlich aufhören zu grienen, Peabody? Mein Gesicht ist schon ganz starr.«
»Aber natürlich, mein Lieber. Ich finde, wir haben unsere Sache gut gemacht. Nach unserer heutigen Darbietung glaubt der König bestimmt, dass wir die Situation akzeptieren.«
»Grrr!«, schnaubte Emerson, der sich für einen Moment vergaß. »Ramses, hast du irgendwas bemerkt? Du warst ziemlich lange in einem der hinteren Räume.«
»In dieser Kammer«, sagte Ramses und zeigte uns eine grobe Skizze, »verläuft entlang einer Wand eine erhöhte Steinbank, so ähnlich wie die in dem Palast, wo wir damals wohnten.«
»Aha!«, entfuhr es Emerson. »Die versteckte Falltür, die sich öffnen ließ und den Zugang zu den unterirdischen Gängen ermöglichte?«
»Genau, Sir. Diese hier hat einen identischen Mechanismus, der aber leider nicht funktionierte.«
Er war bedrückter, als ich vermutet hatte. »Trink deinen Whisky«, empfahl ich ihm.
»Ja, Mutter«, murmelte er abwesend.
Er aß sehr wenig an jenem Abend. Um ihn aufzumuntern, schlug ich vor: »Bei der nächsten Audienz bitte ich den König, Nefret besuchen zu dürfen. Die Priesterinnen leben völlig zurückgezogen, aber ich als Frau bekomme vielleicht die Erlaubnis. Falls ja – und ich werde sehr hartnackig sein –, berichte ich dir nachher, wie es ihr geht und wo sie ist.«
»Gute Idee, Mutter«, antwortete Ramses nicht unbedingt fröhlich, aber auch nicht mehr ganz so pessimistisch. »Wir müssen einen Weg finden, um direkt mit ihr zu kommunizieren. Wie ich Nefret kenne, lässt sie sich nicht lange verschaukeln. Überzeug sie, dass sie durchhalten muss und dass wir mit unseren Aktivitäten auf Zeit spielen –«
»Ja, mein Junge, genau das schwebte mir auch vor.« Ramses widmete sich wieder seiner Skizze und Emerson und ich gingen im Garten spazieren. Es war ein angenehmes Fleckchen in der Dämmerung, mit rankenüberwucherten Mauern und einem blaugefliesten Teich. Die Lotusblüten hatten ihre Knospen geschlossen, doch ihre grünsamtenen Blätter schaukelten im Wind, versprühten kristallklare Tropfen, vollendet geformt wie Quecksilberperlen. Mein Gemahl ist keineswegs immun gegen die Schönheiten der Natur, doch an jenem Abend hatte er nur Augen für die Felswände. Er musste auf eine niedrige Steinbank klettern, um darüber zu spähen, denn sie waren an die drei Meter hoch.
»Und?«, fragte ich. »Siehst du irgendwelche Wächter?«
»Die sind hier überflüssig. Auf der anderen Seite fällt das Gewölbe steil ab, in eine ziemlich tiefe Kluft. Wenn wir Seile hätten, kämen wir vermutlich problemlos hinunter.«
»Sinnlos, solange wir nicht wissen, wie wir da wieder hochkommen und wohin wir dann gehen müssen.«
»Ganz recht«, seufzte Emerson. »Ich schick jetzt die verdammten Diener weg, ja?« Und das tat er dann auch mit ausladenden Gesten.
»Emerson«, sagte ich, als er auf mich zutrat. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung für – ähm – na das. Nicht heute Abend. Und nicht mit diesem unsäglichen Bart.«
»Meine liebste Peabody.« Er bedachte mich mit vorwurfsvollem Blick. »Daran hatte ich auch gar nicht gedacht. Na ja – um ehrlich zu sein, denke ich ständig daran, aber das ist nicht der ausschlaggebende Grund, weshalb ich mit dir allein sein möchte. Sie haben Nefret entführt; ich lasse nicht zu, dass diese Halunken dich auch noch verschleppen.«
Ich fasste seine ausgestreckten Hände. »Mein geliebter Emerson. Verzeih mir.«
»Entschuldigung angenommen. Öh – ist das dein Ernst mit dem Bart?«
Ich nickte entschieden.
Emersons Nähe war zwar tröstlich, trotzdem hatte ich Mühe einzuschlafen. Ich wünschte mir sehnlichst, im Traum Abdullah zu
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