Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
sagte ich schließlich. »Die Unterwäsche ist allerdings abgetragen und ein bißchen … hmmm … zu jugendlich.«
»Gewagt, meinen Sie?« Miss Petherick verschränkte die Arme.
»Mag sein. Ach ja, ich schlage vor, wir sortieren alles zu Bündeln zusammen – Hüte, Handschuhe und dergleichen. Ich lasse das dann abholen und schicke es an den entsprechenden Personenkreis. Möchten Sie denn gar nichts davon behalten?«
»Nein!«
»Ihren Schmuck auch nicht?« Der Inhalt der Schmuckschatulle lag als glitzernd verschlungenes Knäuel auf dem Bett.
»Die Schmuckstücke sind unecht.«
Nach kurzer Überprüfung mußte ich ihr recht geben. Es erstaunte mich, daß eine erfolgreiche Autorin, die Gattin eines wohlhabenden Mannes, nicht wenigstens ein paar kostbare Stücke haben sollte. Vielleicht hatte Miss Petherick diese aber auch bereits beiseite geschafft.
Es ging mich zwar nichts an, dennoch fühlte sie sich wohl aufgrund meiner kritischen Miene zu einer Erklärung genötigt. »Ich habe ein paar Stücke weggenommen, die früher einmal meiner Mutter gehörten. Nichts Wertvolles, lediglich Erinnerungsstücke, wenn Sie sie sehen möchten –«
»Aber nein.«
»Ich bestehe darauf. Ich möchte nicht, daß Sie an meiner Ehrlichkeit zweifeln.«
Sie zog die Schublade vom Nachttisch heraus.
Ich warf einen kurzen Blick auf den Inhalt. Anders als das Glitzerknäuel auf dem Bett lagen diese Schmuckstücke fein säuberlich in dem Schubfach ausgebreitet: mehrere kleine Broschen mit Süßwasserperlen und winzigen Türkisen, zwei schmale Ringe und ein Granatschmuck – Armband, Haarkämme, Halskette –, wie er fünfzig Jahre zuvor modern gewesen war. Einem der Kämme fehlten zwei Zin ken.
»Sie hat sie nie getragen«, bemerkte Miss Petherick. Ihre Betonung ließ keinen Zweifel daran, welche »sie« die junge Frau meinte. »Sie waren ihr zu altmodisch und schlicht.« Ich konnte es Miss Petherick wirklich nicht verübeln, daß sie den Schmuck ihrer leiblichen Mutter an sich genommen hatte. Und das sagte ich ihr auch.
»Meine Mutter war eine höfliche, zurückhaltende Frau, Mrs. Emerson. Die Bescheidenheit hat ihr leider niemand gedankt.«
Das eigentliche Motiv, warum ich Mrs. Pethericks Kleidung an mich nahm, war natürlich ein anderes. Ihre Stieftochter dankte mir für meine Gefälligkeit, der scharfsichtige Leser wird jedoch zweifellos nachvollziehen, daß ich nicht nur aus reiner Menschenfreundlichkeit handelte. Ich hatte mir die Sachen nicht näher ansehen, Taschen und Manschetten umdrehen, auf Flecken und Risse prüfen können. In Liebe, Krieg und Verbrechensbekämpfung ist alles erlaubt, zumal man nie wissen kann, wo der entscheidende Hinweis lauert.
In der Tat hatten sich diverse neue Anhaltspunkte ergeben. Am aufschlußreichsten war das Verhältnis der jungen Dame zu ihrer Stiefmutter. Sie mochten miteinander zurechtgekommen sein, doch hegte sie offensichtlich einen tiefsitzenden Groll gegen die Frau, die den Platz ihrer Mutter für sich beansprucht hatte. Harriet mochte zwar nicht finanziell von Mrs. Pethericks Tod profitieren, aber – wie Emerson überzeugend eingeflochten hatte – Rache ist ein ebenso starkes Motiv.
Kaum weniger interessant war die Tatsache, daß Mrs. Pethericks Kleiderschrank eher dürftig bestückt gewesen war. Modebewußte Damen reisen mit einem riesigen Aufgebot an Koffern und Hutschachteln. Ich hatte nur ein paar Kleider und ein bißchen fadenscheinige Unterwäsche gefunden. Andererseits hatte sie zumindest eine extravagante Robe eingepackt – das rote Abendkleid, in dem sie beerdigt worden war. Und sie besaß bestimmt mehr Schmuck als das, was in dem Rosenholzkästchen gewesen war.
Nachdenklich schlenderte ich durch den Korridor. Unterwegs grüßte ich abwesend nickend die Sufragis und Kellner. An der Rezeption erklärte ich dem diensthabenden Angestellten, was mit Mrs. Pethericks Sachen geschehen sollte. Dabei erkundigte ich mich beiläufig: »Wer ist denn die Dame in Zimmer 254?«
Wenn der Bursche gesagt hätte »Welche Dame?« wäre meine Theorie sofort hinfällig gewesen. Statt dessen erwiderte er höflich: »Eine Mrs. Johnson, Madam. Sie ist vor einer Woche eingetroffen.«
»Ah«, erwiderte ich. »Mag sein, daß ich sie kenne. Ist die Dame mittleren Alters und von mittlerer Größe? Mit schwarzen Haaren und dunklen Augen?«
Der junge Mann mußte mich leider enttäuschen. »Alter und Größe kommen hin, Mrs. Emerson, aber Mrs. Johnson hat helles Haar. Sehr hell.
Weitere Kostenlose Bücher