Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
die Kleider vor. Die eingenähten Taschen enthüllten ein klassisches Sammelsurium: mehrere Taschentücher, eine vertrocknete Blume, zwei Haarnadeln und eine beträchtliche Anzahl Flusen. Eine ordentliche Zofe hätte die Sachen nach dem Tragen ausgebürstet. Jetzt war mir klar, warum Mrs. Petherick kein Mädchen mitgebracht hatte. Sie hatte ihr dramatisches Verschwinden schon vor ihrer Abreise aus England geplant, und dabei sollte ihr niemand auf die Finger schauen.
Ich erspare Ihnen, werte Leser, die Details unserer Suchaktion. Überflüssig zu erwähnen, daß wir keine verräterischen Spuren entdeckten, keine eingenähten Objekte, also, kurz gesagt, überhaupt nichts Verdächtiges. Anders als die Unterwäsche waren die Kleider verhältnismäßig neu und relativ billig. Trauerkleidung trägt man für gewöhnlich nicht lange, es sei denn, schwarz steht der betreffenden Person so wie Gräfin Magda, die ihren Verlustschmerz durchaus nicht ungern inszenierte.
Fatima, die uns zur Hand ging, packte die Sachen wieder zusammen. Sie hatte unseren Schlüssen nichts hinzuzufügen. Man sah ihr und Katherine die Enttäuschung regelrecht an, zumal beide auf einen spektakulären Anhaltspunkt gehofft hatten. Mitfühlend meinte ich zu Fatima: »Sei doch bitte so nett und bring Miss Buchanan die Pakete in die Schule. Ich leg eine kleine Notiz dazu. Sie kennt bestimmt jemanden, der sich darüber freut.«
Auf der Veranda verfolgte Emerson schweigend (welch Wunder!) die Unterhaltung zwischen Ramses und Mr. Katschenowsky. Die beiden fachsimpelten über altägyptische Verbformen. Er sprang auf, als wir kamen, und bot Katherine an, sie nach Hause zu begleiten, da die anderen schon vorausgeritten waren.
»Das ist nicht nötig«, versicherte sie ihm.
»Ich bestehe aber darauf.« In dieser Hinsicht war Emerson ein echter Gentleman. »Fangt ruhig schon an mit dem Tee, Peabody, ich bleibe nicht lange weg.«
»Ach, Katherine«, warf ich hastig ein, »erzählen Sie mir noch eben, wie es Mr. Lidmann geht. Ich hab mich gar nicht mehr nach ihm erkundigt.«
»Er kam heute morgen, als Sie auf dem Begräbnis waren.« Katherine runzelte die Stirn. »Nefret, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihn sich noch einmal anschauen könnten. Er konnte kaum laufen – zwei Sufragis aus dem Hotel mußten ihn stützen –, und er wollte partout nichts essen.«
»Das ist ein schlechtes Zeichen. Wir kommen heute abend vorbei«, versprach ich.
Nefret widmete sich ihren Kindern. Ich wandte mich Mr. Katschenowsky zu, den ich ermunterte, mit der Unterhaltung fortzufahren.
»Ich möchte Sie nicht langweilen«, sagte der Russe höflich. »Ich fürchte, unsere Diskussion ist doch sehr fachspezifisch.«
»Bei altägyptischen Verbformen kann ich natürlich nicht mitreden«, lachte ich. »Aber vielleicht können wir über ein paar interessante Textstellen plaudern.«
»Was wäre denn interessant für dich?« erkundigte sich Ramses schmunzelnd.
»Moraltheoretisches Schriftgut«, sagte ich ohne Umschweife. »Gebete wie die, die du neulich erwähntest.«
Ramses hob verblüfft die Brauen. »Das weißt du noch?«
»Aber selbstverständlich. Im Gegensatz zu diversen anderen Personen vergesse ich so schnell nichts, mein Lieber.«
Ramses grinste. »Da sind wir leider noch nicht viel weitergekommen. Die kürzlich entdeckten Papyrusfragmente müssen erst entsprechend präpariert werden, bis sie ganz trocken sind. Dann werden sie sortiert und wie ein Puzzle zusammengesetzt. Dabei ist Michail mir eine unverzichtbare Hilfe«, setzte er mit einem höflichen Nicken zu dem zurückhaltenden Russen hinzu. »Ach übrigens, Mutter, in den alten Kleidern hast du wohl nichts Aufschlußreiches finden können, was?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Sonst hättest du es bestimmt nicht so lange für dich behalten können.«
Nach dem Abendessen brachen Nefret und ich zum Schloß auf. Emerson erbot sich, uns mit dem Wagen hinzubringen, hatte dabei aber nicht bedacht, daß das verflixte Vehikel (gottlob) nicht fahrtüchtig war. Statt dessen schickte Cyrus uns freundlicherweise seine Kutsche. Die riesigen Tore schwangen mit metallischem Klirren hinter uns zu. Fackeln erhellten den großzügig angelegten Innenhof.
Katherines vorrangige Sorge galt ihrem Patienten. Sie führte uns direkt in das elegante Gästezimmer, wo Lidmann logierte.
»Das ist ja keine erfreuliche Nachricht, daß Sie sich nicht gut fühlen, Mr. Lidmann«, sagte ich ohne Umschweife und trat an das Bett, während Nefret
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