Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
Ramses. »Mal wieder.«
»Meinst du wirklich, sie wollte dich umbringen?« erkundigte sich seine Mutter. Hellwach und aufmerksam, kein Härchen in Unordnung, thronte sie auf einem Hocker, umwogt von den Falten ihres wallenden Morgenrocks. »Weshalb denn?«
»Gute Frage«, meinte David. »Darüber haben wir den gesamten Rückweg diskutiert. Ramses beteuert, er hat keine Ahnung, weshalb.«
»Mörder töten in den seltensten Fällen ohne ein Motiv«, bemerkte Sethos. Er lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust gekreuzt. »Logik hin oder her, Ramses, hast du irgendwelche Gerüchte in die Welt gesetzt oder sonstwie geblufft?«
»Nein«, versetzte Ramses schroff. »Na ja.«
»Na ja?« wiederholte Sethos.
»Es ist bestimmt nicht relevant«, beteuerte Ramses. »Ich habe herumerzählt, daß nur Vater und ich das Versteck der Statue kennen. Mutter hatte ein ähnliches Gerücht gestreut, und da hielt ich es für angeraten … ähm …«
»Die Gefahr auf dich zu projizieren?« warf seine Mutter prompt ein. »Das war sehr aufmerksam von dir, mein Lieber. Aber es ist wirklich nicht relevant. Wenn man ein Geheimnis erfahren möchte, bringt man den Geheimnisträger doch nicht zum Schweigen.«
»Du sagst es«, brummelte Emerson. »Vielleicht beabsichtigte sie – er – ja gar keinen Mord, sondern eine Entführung, um ihm das Versteck abzupressen.«
»Ob Mann oder Frau, dazu hätte es mehr als einer Person bedurft«, gab seine bessere Hälfte zu bedenken.
»Ich fühle mich geehrt«, murmelte Ramses. »Kann ich jetzt ins Bett gehen?«
»Du mußt«, versetzte Nefret. »Und kein Wort von wegen Frühstück um sechs, Vater.«
»Nein, das würde mir nicht im Traum einfallen. Schlaf dich ruhig aus, mein Junge. Ähm … also dann acht Uhr?«
In ihrem Haus war alles ruhig und dunkel, bis auf das eingeschaltete Nachtlicht im Kinderzimmer. Die Hündin lag lang ausgestreckt im Eingangsbereich. Ramses wäre fast über sie gestolpert. Amira kläffte protestierend, worauf Ramses fluchte und Nefret beide zur Ruhe gemahnte.
»Ein Glück, daß die Kinder nicht aufgewacht sind«, sagte Ramses betont beiläufig.
»Glück für dich.« Sie schloß die Schlafzimmertür und umarmte ihn. »Ich hasse es, wenn du solche Sachen machst.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Mir auch. Ich wollte nicht so grob mit dir sein. Aber –«
»Dann zeig mir, daß es dir leid tut.«
Der Angriff auf Ramses war beunruhigend. Die Verletzungen waren zwar nicht dramatisch, hätten aber ernste Folgen haben können, wäre David nicht bei ihm gewesen. Als wir uns (um acht Uhr) zum Frühstück einfanden, sah er abgesehen von dem Kopfverband wieder ganz normal aus. Fatima servierte ihm eine Extraportion Porridge und vier Eier.
»Ich habe nachgedacht«, begann ich.
»Grrrr«, knurrte Emerson. »Sie hat heute nacht mit mir zwei Stunden lang laut nachgedacht. Nur Blödsinn. Keine einzige plausible Theorie.«
»Ich kann lediglich den Schluß ziehen«, fuhr ich unbeirrt fort, »daß Ramses mehr weiß als wir anderen. Irgendeine Tatsache, die ihm selbst vielleicht gar nicht bewußt ist, die ihn aber für unseren unbekannten Widersacher gefährlich macht. Irgend etwas, das mit Mrs. Petherick zu tun hat.«
»Oder der Statuette«, meinte Emerson. Er vergaß dabei, daß er meine Schlüsse soeben als Blödsinn abgetan hatte.
»Keine Ahnung, was das sein könnte.« Ramses zuckte mit den Achseln. »Ich hab mich mit der Frau nie allein unterhalten, immer nur in eurem Beisein. Und über die Statue weiß ich nicht mehr als ihr.«
»Wir sollten sie uns noch einmal ansehen«, schlug Sethos mit leuchtenden Augen vor.
»Später«, erwiderte Emerson und sah seinen Bruder dabei scharf an.
»Habt ihr heute morgen schon Zeitung gelesen?« wollte David wissen.
»Diesen verdammten Mist tu ich mir nicht an«, wiegelte Emerson ab.
Ich normalerweise auch nicht. Die Neuigkeiten waren immer mindestens einen Tag alt und meistens uninteressant. Seit dem »Geheimnis des schwarzen Dämons« hatte ich natürlich regelmäßig die Kairoer Zeitung gelesen, aber noch nicht an jenem Morgen.
»Was schreiben sie denn über Mrs. Petherick?« fragte ich.
»Nichts Neues, Tante Amelia. Nur über ihre Karriere als Schriftstellerin und so. Howard Carter ist vorgestern in Kairo eingetroffen«, erwiderte David, der die Zeitungen regelmäßig las.
»Wie bitte?« Emerson sprang auf. »Woher weißt du das?«
»Das stand in der Gesellschaftskolumne.« David grinste, zumal Emerson dieser Teil zuwider
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