Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
stürmischen Umarmung von Sennia.
In den wenigen Monaten schien sie um einiges gewachsen zu sein und war mit dreizehn schon eine richtige kleine Dame – ausstaffiert mit weißen Handschuhen, Sonnenschirm und dergleichen. Halb englisch, halb ägyptisch hatte sie die samtig braune Haut und die dicht bewimperten dunklen Augen ihrer Mutter und – gottlob – kaum Ähnlichkeit mit ihrem Vater.
»Wo sind denn die anderen?«, forschte sie. »Der Professor und Tante Nefret, die Zwillinge, Selim, Daoud und Fatima?«
»Die siehst du morgen«, erwiderte ich, während ich ihr eine Haarschleife zurechtzupfte. »Wir nehmen den Abendzug nach Luxor.«
Gargery stöhnte inbrünstig. »Oh Madam, ich hatte so gehofft, wir könnten uns einen Tag ausruhen. Nach der grässlichen Schiffsreise.«
»Sie waren seekrank, stimmt’s?«, tippte ich. »Gargery, das ist zwar bedauerlich, aber nicht zu ändern. Sie hätten ja nicht mitzukommen brauchen.«
Der arme alte Kerl tat mir zwar leid, aber ich wusste aus Erfahrung, dass er bei Mitleidsbekundungen nur noch lauter stöhnte. Zugfahren bekam ihm freilich auch nicht; als wir Kairo erreichten, war er so blass und zittrig, dass wir erst einmal einen Zwischenhalt im Shepheard’s einlegten, wo er es sich in der Lobby bequem machte.
»Wir nehmen den Tee hier ein und nicht auf der Terrasse«, sagte ich halb mitfühlend, halb ärgerlich. »Der Zug fährt erst in ein paar Stunden weiter. Gönnen Sie sich also ruhig ein Nickerchen, Gargery.«
»Ich bin überhaupt nicht müde, Madam«, meinte Gargery patzig. Nicht lange und er schloss die Augen, das weißhaarige Haupt sank ihm auf die Brust. Er rührte sich erst wieder, als der Ober den Tee und eine köstliche Gebäckauswahl brachte. Sennia vergaß ihre guten Manieren und stürzte sich auf das Konfekt.
»Dieser halsstarrige alte Gauner gefällt mir gar nicht«, murmelte ich. »Er bekommt ein Einzelabteil. Sennia kann mit zu mir und du mit zu Ramses, David. Wie ich euch kenne, werdet ihr ohnehin die ganze Nacht verplaudern.«
»Ich kümmere mich um Gargery«, meinte Sennia. Sie führte die von mir gefüllte Teetasse mit vornehm abgespreiztem Finger zum Mund. »Ach ist das schön, wieder hier zu sein! Wie wär’s, wenn wir das Museum besuchten? Und den Souk?«
»Ich möchte auf gar keinen Fall den Zug verpassen.« Wenn sie mich so wie jetzt mit ihren riesigen schwarzen Augen flehend anblickte, konnte ich ihr schwerlich etwas abschlagen.
»Das dauert vermutlich zu lange«, wandte Ramses ein. »Du möchtest einen Einkaufsbummel machen, nicht, Sennia? Würde dir ein kurzer Spaziergang über die Muski reichen?«
Sennia, die sich den Mund mit Kuchen vollgestopft hatte, nickte heftig.
»Ein kleiner Bummel wäre gewiss nicht schlecht«, räumte ich ein.
Ramses spähte auf die Uhr. »Ich muss noch jemanden anrufen. Bin aber rechtzeitig zurück. David, begleitest du die Damen?«
David bedachte ihn mit einem skeptischen Blick, nickte dann aber so bereitwillig, dass ich mich fragte, wie viel Ramses ihm berichtet haben mochte. Zumal sie kaum Gelegenheit gehabt hatten, sich vertraulich auszutauschen.
»Was ist mit Gargery?«, fragte ich.
»Der schläft noch Stunden«, meinte David. Er legte dem alten Mann sanft eine Hand auf die Schulter, worauf der mit einem leisen Schnarcher reagierte. »Wir sind ja nicht lange weg. Vielleicht schreibst du ihm eine kurze Notiz, Tante Amelia.«
Das machte ich. Dann bat ich den Oberkellner, in der Zwischenzeit nach unserem Freund zu sehen.
Da Sennia ausgelassen neben mir herumhüpfte und pausenlos plapperte, hatte ich keine Chance, mich mit David zu unterhalten. Er stand geduldig dabei, während wir beide Weihnachtsgeschenke kauften. Sennia hatte ein großes Herz und hätte, wenn ich nicht irgendwann eingeschritten wäre, ihre kleine Barschaft in Geschenke für die Zwillinge investiert. Ihr Geschmack ließ gelegentlich zu wünschen übrig. So musste sich David in einem Geschäft umdrehen, während sie mit dem Verkäufer um eine grässliche Krawatte mit veilchenblauen und himbeerroten Skarabäen feilschte.
Die Arme voller Päckchen kehrten wir ins Hotel zurück. Zufällig stieg Ramses gerade aus einem Taxi, worauf wir gemeinsam die Empfangshalle betraten. Sennias Plappermäulchen stand nicht still.
»Wir machen uns jetzt besser auf den Weg zum Bahnhof«, schlug ich vor. »Der Zug kann jede Minute eintreffen. Kommt, wecken wir Gargery.«
Aber der Sessel, in dem er gesessen hatte, war leer und er nirgends zu
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