Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
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David verschwand, um die naheliegenden Lokalitäten zu inspizieren. Als er zurückkehrte, wirkte er besorgt. »Hmmm, es wurde niemand gesehen, auf den Gargerys Beschreibung passt.«
Sobald er uns bemerkte, schoss der Oberkellner zu uns. »Suchen Sie Ihren Bekannten, Mrs Emerson? Er ist schon vorgegangen.«
»Gute Güte«, rief ich. »Wohin denn?«
»Er murmelte irgendetwas von einem Bahnhof, Madam.«
»Wie lange ist es her, dass er das Hotel verließ?«, bohrte ich.
»Kurz nach Ihnen, Madam. Natürlich hatte ich ein Auge auf den alten Herrn, aber – na ja, wir hatten heute Nachmittag viel zu tun. Ich bemerkte erst, dass er aufgestanden war, als er mich von hinten mit seinem Stock antippte und darum bat, ich solle Ihnen ausrichten, er sei schon vorgegangen. Er redete leise mit sich selbst, Madam. Ich glaube, er beklagte sich bitterlich.«
Wir starrten einander betreten an. Im Beisein von Sennia mochte ich meine tiefe Besorgnis verständlicherweise nicht äußern. Sie kicherte. »Bisweilen ist er ein bisschen verwirrt«, erklärte sie.
»Vielleicht ist es ganz harmlos«, beschwichtigte Ramses. »Am besten suchen wir auf dem Bahnhofsgelände nach ihm.«
»Uns bleibt keine Alternative«, erwiderte ich unbehaglich. »Wir müssen nämlich unverzüglich aufbrechen. Barkins, falls der alte Trottel – der alte Herr – noch einmal zurückkommt, halten Sie ihn fest und schicken schleunigst jemanden zum Bahnhof, um uns zu informieren.«
Um unser Gepäck hatte man sich bereits gekümmert, folglich zwängten wir uns mit unseren Einkäufen in ein Taxi. Es dämmerte bereits und die einsetzende Dunkelheit steigerte meine Nervosität. Die Notiz, die ich für Gargery zurückgelassen hatte, war ebenfalls unauffindbar. Er hatte sie wohl mitgenommen. Trotzdem blieb es mir ein Rätsel, wieso er meine Anweisungen derart missverstanden hatte.
Als wir den Hauptbahnhof erreichten, war auch mein Stimmungstief erreicht. Einmal angenommen, Gargery hatte den Bahnhof überhaupt gefunden, wie sollten wir ihn bloß in den drängelnden, lärmenden Menschenmassen aufspüren? Wir fanden den Bahnsteig, wo unser Zug wartete. Noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt. Einige Reisende schoben Gepäck in ihre Abteile, andere plauderten noch mit Freunden. Gargery hätte gar nicht einsteigen können, da wir seine Fahrkarte hatten.
»Setzt euch schon mal in euer Abteil«, wies Ramses Sennia und mich an. »Wir suchen weiter nach ihm.«
Er wartete, bis wir eingestiegen waren, ehe er und David in unterschiedliche Richtungen losmarschierten. Kofferträger kümmerten sich um das Gepäck; ich entdeckte unseres und ließ es in unsere Abteile bringen. Durch das offene Zugfenster inspizierte ich die Passanten und antwortete abwesend auf Sennias fröhliches Geschnatter.
Eine Viertelstunde verging. Die meisten Fahrgäste waren mittlerweile eingestiegen.
Dann sah ich Ramses und David, die auf den Zug zusteuerten. Als sie mich am Fenster entdeckten, beschleunigten sie ihre Schritte. Ich brauchte gar nicht erst nachzufragen, ob sie ihn gefunden hätten. Sie kamen nämlich allein.
»Ich bleibe hier«, erklärte Ramses, bevor ich mich artikulieren konnte. »David, spring rein und wirf mir meine Tasche raus, ja?«
»Wir können doch nicht ohne Gargery losfahren«, rief Sennia. »Wo ist er bloß?«
»Schätze, er hat sich verlaufen oder so.« Ramses grinste gequält. »Fahrt ihr schon mal vor; ich finde ihn bestimmt noch und dann bringe ich ihn morgen mit nach Hause.«
Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. »Ramses, meinst du wirklich –«
»Er hat sich bestimmt verlaufen«, sagte Ramses laut und vernehmlich. »Keine Sorge, Sennia, ich werde –« Sie unterbrach ihn mit einem Freudenschrei. »Nein, hat er nicht! Da ist er ja!«
David, der im nächsten Abteil stand, ließ prompt Ramses’ Koffer aus dem Abteilfenster fallen und starrte entgeistert hinaus. Ramses drehte sich um. Da war er in der Tat; ohne Hut, das schlohweiße Haar wirr vom Kopf abstehend, schob er sich durch die Menschen, die gutmütig grinsend zurückwichen. In Ägypten respektiert man das Alter.
Ramses behielt wie üblich einen kühlen Kopf. Er schob den Koffer wieder durch das Fenster, packte Gargery blitzschnell und schleifte ihn in Richtung Zug. Gargery schwenkte seinen Stock und redete unverständliches Zeug. Das ungleiche Paar strebte zum Waggon. Ich schloss das Fenster und trat, innerlich aufgewühlt, an die Abteiltür. Zum Glück erwiesen sich meine schlimmsten
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